10 Dinge, die Auswanderer erleben ODER Es ändern sich nicht nur die Orte….

In-der-Fremde

heise.de

Letzte Woche hatten wir gerade wieder eines dieser Gespräche: „Meinst du, wir bleiben in Norwegen?“ – „Naja, es gefällt uns doch ganz gut.“ –„Ja, stimmt.“ – „Obwohl….“ – „Ja?“ – „England ist ja auch toll…“ – „Hm. Oder Irland.“ – „Australien!“ – „USA!“. Es ist nämlich so: Fängt man einmal an, in der Weltgeschichte herumzureisen, kann man nicht mehr damit aufhören. Und das ist nur eines der Dinge, die passieren, wenn man im Ausland lebt.

Hallo, meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen. Seit 11 Jahren bin ich mittlerweile im Ausland und vieles im Denken und Tun hat sich in dieser Zeit verändert. Manches davon hatte ich erwartet, anderes hat mich überrascht. Heute also ein Versuch: Ich will die Dinge auflisten, die sich nach dem Umzug ins Ausland verändert haben. Für mich. Aber manche erkennen sich vielleicht wieder. Und da ich ein ehrlicher Mensch bin, bleibt auch nichts unerwähnt. „Brav!“, lobt mich mein Gewissen. Og nun, without further ado, voilà:

  1. Über den eigenen Schatten springen…

Es erfordert ein gewisses Selbstbewusstsein, immer neue Leute kennenzulernen. Oder das erste Mal die neue Sprache zu sprechen. In eine bestehende Gruppe „einzubrechen“. Sich mittags mit Kollegen an den Tisch zu setzen, obwohl sie dann automatisch die Sprache wechseln und man sich anfangs so doof vorkommt. Auch mal nachzufragen, wenn man sich unsicher ist. Das ist nicht immer einfach und auch wenn es Leute gibt, denen das nichts ausmacht – ich fand es sehr schwierig zu Beginn. Hatte ich mich aber überwunden und war über meinen Schatten gesprungen, fühlte ich mich stolz wie Bolle.

  1. Das Bekannte suchen…

In meiner Heimatstadt haben wir gerne die (falsch benannten) „Ausländerghettos“ kritisiert. „So integrieren die sich NIE!“ – „Immer für sich bleiben, was wollen sie dann überhaupt im Ausland?“ – Blablabla. Und da ist auch was dran. Ich wetze hier also nicht das Schwert zur Verteidigung von Ausländerzusammenrottungen. Aber ich verstehe sie jetzt besser. Ich kann noch so viele norwegische, kanadische oder franzözische Freunde haben, niemand ist mir in der Seele näher als eine andere Deutsche/ein anderer Deutscher. Sage ich „Herr Müller-Lüdenscheid!“ antwortet mir die Landsfrau: „Herr Dr. Klöbner!“ und wir enden im Chor: „Wenn Sie die Ente hereinlassen, lasse ich das Wasser heraus!“ Kollektive Kulturerinnerungen verbinden.

  1. Sich neu erfinden…

An einem fremden Ort kann man von vorne anfangen. Vielleicht nicht im Beruf, denn viele kommen ja aufgrund einer neuen Arbeitsstelle ins Ausland. Aber den Rest kann man eigentlich neu erfinden. Gerade für mich als „Mitreisende“ war und ist das immer eine Herausforderung. Aber auch eine wunderbare Chance.  Neue Länder bieten neue Möglichkeiten und geben neue Ideen. Dieser Blog entstand erst hier in Norwegen, dabei hätte ich ihn auch schon in Frankreich schreiben können. Aber da kam mir die Idee irgendwie nicht.

  1. Nostalgie

Distanz schafft manchmal verzerrte Bilder und Heimweh kann dazu führen, dass „in der Heimat doch alles besser war.“ Plötzlich vermisst man die Dinge, die früher selbstverständlich waren. Da wird ein „Hanuta“ im Café Liebling in Oslo wie ein lang verlorener Freund begrüßt, so groß ist die Freude, ein Stück Heimat zu sehen. Kehrt man aber zurück an den Heimatort, rückt sich das Bild zurecht.

  1. Überheblichkeit

„Toll, wo du schon überall gelebt hast!“ – „Wow, wie du das schaffst!“ – manchmal zollt man diesen Worten zu viel Aufmerksamkeit, zieht sie sich an wie ein paillettengeschmücktes Abendkleid und fühlt sich wie die Königin von Saba.  Mit kopfschüttelndem Bedauern blickt man auf die, die in der Heimat geblieben sind. Das ist eine ganz, ganz, ganz böse Seite der Weltbummlerei (und meines Charakters) und wird daher wie ein gefährliches Tier an der kurzen Kette gehalten. Raus darf die Bestie nur in Extremfällen. Denn seien wir mal ehrlich: Weggehen kann jeder, der Mut liegt im Bleiben.

  1. Nicht hier, nicht dort….

Egal, wie lange ich noch in Norwegen bleiben werde, ich werde immer die Ausländerin mit dem Akzent sein. Das kann anstrengend sein und weh tun. Komme ich dann zu Besuch nach Deutschland, wird es nicht besser: Hier gehöre ich auch nicht mehr hin. Auch wenn wir vermisst werden, geht das Leben in Deutschland seit 11 Jahren doch prima ohne uns weiter. Man hängt in der Luft. Ich gebe meinen Status gern als Europäerin an, andere sagen sie sind Weltbürger. Das hilft :).

  1. Sprachenwirrwarr

Ich, I, jeg, moi…vier Sprachen kämpfen um Aufmerksamkeit in meinem Kopf und führen zu Verwirrung. Deutsch und Englisch sind stark, Französisch und Norwegisch kämpfen um Platz 3. Für jedes neue norwegische Wort scheint ein französisches zu verschwinden. Ich bin schon zum Flohmarkt der französischen Schule gegangen, um mal wieder die Sprache der Grande Nation reden zu können und zu hören. Jede Sprache trägt mit sich so viele Erinnerungen und Bilder von verschiedenen Orten – ein bunter, mehrsprachiger Zirkus, der manchmal ausbricht. Ich mag die kurze Witzigkeit des Englischen, den Charme des Französischen, die geordnete Gedankenwelt und Sicherheit im Deutschen und die abenteuerliche Neuheit des Norwegischen.

  1. Überall Konten, Renten, Freunde

Mittlerweile besitzen wir Konten in Kanada, Schottland, Frankreich, Deutschland und Norwegen. (Nein, keines in der Schweiz.) Wir haben in allen diesen Ländern Rentenansprüche und –gelder gesammelt und das Beantragen von Rente wird wahrscheinlich einen Jahresurlaub in Anspruch nehmen. Außerdem haben wir aber auch Freunde und Bekannte in den vier Ländern, sogar noch in mehr als vier, denn manche unserer Freunde haben auch wieder das Land gewechselt. Das ist spannend. Leider sind sie (genauso wie unsere Familien) aber dadurch auch so weit weg und man sieht sich nicht (oder nicht oft). Das ist weniger spannend. Um den Kontakt nicht zu verlieren, sind unter anderem soziale Medien ideal und ich stimme ein erneutes „Hurra!“ auf Facebook an: „HURRAH!“

  1. Heute hier, morgen dort…

Immer neue Orte kennenzulernen, nicht nur im Urlaub, sondern dort richtig zu leben, finde ich klasse. So sehr ich meine Freunde, meine Aktivitäten und viele Plätze hier in Oslo gerade schätze, so sehr reizt es mich eben auch, wieder irgendwo neu anzufangen. Ein neues Land zu erforschen mit allen seinen Vor- und Nachteilen ist ein großer Luxus und Spaß. Und man wird besser, je häufiger man es tut. Allerdings freue ich mich auch auf den Moment, wo ich plötzlich an einem Ort stehe (gern auch sitze) und weiß: „Hier will ich bleiben.“

  1. Zuhause

„Aber willst du nicht seßhaft werden? Ein Zuhause aufbauen?“ Im Ausland zu leben, bedeutet auch häufig, in der Luft zu schweben. Nicht ganz da zu sein, nicht ganz dazugehören. Ein Zuhause habe ich aber nie vermisst, denn das ist dort, wo Martin ist. Und seit August: Wo Martin und Gesa sind.  Egal, wo uns der Weg noch hinführt, mein Zuhause ist immer dabei. *** So, meine lieben Leser, das war es schon für heute. Eine kleine, ganz persönliche Analyse, die in vielen Punkten bestimmt von der Geschichte anderer Auswanderer abweicht. In manchen aber auch zutreffen kann. Schildert doch Eure Erfahrungen – und für alle, die nicht auswandern wollen: Was würde Euch abhalten? Ich bin gespannt und freue mich auf Eure Kommentare. Uns allen wünsche ich eine tolle, lustige, leckere und sonnige Woche. Habt Spaß, wo immer auf der Welt Ihr auch seid. Ha det bra, 20150213_125213 Ulrike

8 Kommentare zu “10 Dinge, die Auswanderer erleben ODER Es ändern sich nicht nur die Orte….

  1. Und manchmal entsteht durch eben diese sozialen Medien eine Freundschaft, aus der dann eine Patentante für die Tochter entspringt… ❤ ❤ ❤

  2. Ich bewundere deinen Mut, wo du schon überall gewesen bist und wo es dich noch hin verschlagen wird.
    Manches Mal denke ich, einfach raus, einfach weg und neu anfangen ist eine grandiose Idee. Aber dann lauf ich durch meine Stadt, und vermisse sie schon, obwohl ich doch in ihr wohne 🙂
    Ich glaub, ich bin ein echtes HiHeimer Pflänzchen.

  3. Hei liebe Ulrike, wieder ein sehr lesenswerter Artikel! Ausser Punkte 5,6, und 10 kann ich alles ohne Einschränkung bestätigen.
    Punkt 5 ist mir noch nicht aufgefallen, ich hoffe, der trifft nicht auf mich zu.
    Bei 6. stimme ich den ersten beiden Sätzen zu, aber sonst fühle ich mich schon noch als Deutscher und gebe so schnell meine Staatsbürgerschaft NICHT auf. Aber ich bin auch erst seit 2 Jahren weg, vielleicht änderst sich das noch.
    Bei 10. bin ich mir noch nicht sicher, eigentlich will ich aber primär hier mein Zuhause aufbauen. Aber mal sehen, vielleicht……
    PS: Ich empfehle meinen Artikel zum Thema Heimat von 2013:

    Mein 1. Jahr in Norwegen – oder: Was ist Heimat?


    🙂

  4. Hei, liebe Namensgenossin, ein wunderbarer Post, habe vor 25 Jahren in Oslo gelebt, liebe dieses Land seitdem, bin allerdings nie wieder dort gewesen… würde sofort auswandern, wenn ich nicht schon so alt wäre…übrigens habe ich neulich mal aus Spaß den Einstufungstest für den Bergen-Test gemacht, 70% richtig ohne Vorbereitung nach all den Jahren… genieße Deine Zeit in Oslo, ich habe den Winter dort immer geliebt.. hat det bra,
    Ulli

  5. Ein paar Dinge erkenne ich tatsächlich wieder, obwohl ich erst seit knapp 4 Jahren in verschiedenen Ländern lebe und davor nie länger im Ausland war als für einen Urlaub. Aber vor allem das Sprachwirrwarr kenne ich: bei mir sind es mittlerweile immerhin 6, und die beiden die ich noch nicht fließend spreche gehen komplett durcheinander. Hast du dafür irgendwelche Tipps?

    • Hei Schokokamel :), ja, das geht mir auch so, vor allem, wenn der Tag stressig war oder ich müde bin – dann geht es durcheinander. Ganz lustig: Ich fluche immer auf Englisch. Ich versuche, alle irgendwie warm zu halten und nicht zu verwirrt zu werden dabei 🙂

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