Das Kongodorf im Frognerpark ODER In 100 Jahren ist alles vergessen?

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Es herrscht das Zeitalter der Selbstdarstellung: Dank Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram können wir uns und unser Leben heute vor einem weltweiten Publikum ausbreiten. Und tun das auch. Millionenfach. Mit möglichst originellen Fotos, emotionalen, provozierenden oder alltäglich langweiligen Aussagen wetteifern wir um die kostbarste Währung unserer Zeit: Aufmerksamkeit. Werden wir dazu gezwungen? Im Gegenteil: Der Einblick in unser Privatleben erfolgt ganz freiwillig. Bereits 1914 kam es in Oslo zu einem Akt der Selbstdarstellung. Nur freiwillig, freiwillig war der wohl kaum: Achtzig schwarze Menschen waren Insassen eines im Frognerpark aufgebauten „menschlichen Zoos“. Jetzt, 100 Jahre später, wurde das „Kongodorf“ rekonstruiert.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Als im März diesen Jahres mit dem Bau großer Strohhütten im Frognerpark begonnen wurde, dachte ich zu allererst an kommende Dreharbeiten, dann an lustige Unterhaltung für die Festlichkeiten zum 17. Mai und wurde am Ende eines Besseren belehrt: Kunst mit politischem Hintergrund entstand vor meinen Augen. Worum ging es?

Blicken wir hundert Jahre zurück.

Oslo, 1914: Die Stadt will mit großem Pomp und Trara das 100jährige Bestehen des norwegischen Grundgesetzes feiern. Benno Singer, erfahren mit Dingen dieser Art, wird beauftragt, im Frognerpark einen Jahrmarkt mit Attraktionen aller Art zu organisieren. Neben einer Achterbahn und einem Pantomimentheater plant der geschäftstüchtige Impresario auch ein „lebendiges Dorf“ im Park. Seit der Internationalen Ausstellung in Brüssel 1897 gehörten Nachbauten afrikanischer Dörfer zu den festen, und sehr populären, Bestandteilen einer derartigen Veranstaltung. Der Kolonialismus und die europäische Dominanz von Ländern wie Belgien, Frankreich oder England schürten ein voyeuristisches Interesse am afrikanischen Kontinent. Der Originalplan, in Oslo ein „lebendiges Dorf“ mit Sami (der norwegischen Urbevölkerung) aufzubauen, wurde vom Leitungskomitee abgelehnt und so griff Singer zurück auf das schon bekannte und bewährte Programm: Das „Kongodorf“ entstand.

Vom 15. Mai bis 11. Oktober 1914, während der Rest Europas kopfüber in den Terror des 1. Weltkriegs fiel, bestaunten fast 1,4 Millionen Besucher in Oslo den sogenannten menschlichen Zoo. Achtzig schwarze Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, präsentierten sich in einheimischen Trachten zwischen „typischen“ Haushaltsgegenständen, Schmuck, Waffen und religiösen Requisiten, um ein Bild vom „echten“ Leben in Afrika darzustellen. Es wird vermutet, dass die Senegalesen Mitglieder einer durch Europa tingelnden Schauspielertruppe waren, genau bekannt ist ihre Herkunft aber nicht. Die Norweger amüsierten sich auf jeden Fall größtenteils prächtig und die Zeitung Aftenposten titelte: „So lustig!“

Karikatur von 1914

@oslobilder.no

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Zurück in die Gegenwart….

Oslo, 2014: „In 100 Jahren ist alles vergessen!“, rief der norwegische Dichter Knut Hamsun legendär dem Gericht entgegen, das ihn wegen Landesverrats verurteilen wollte. Aber ist in 100 Jahren alles vergessen? Der aus Somalia geflüchtete und in Norwegen lebende Künstler Mohamed Ali Fadlabi und der schwedische Künstler Lars Cuzner sagen: Nein. Und bewerben sich mit einem Kunstprojekt für das 200jährige Jubiläum des norwegischen Grundgesetzes. Ihre Idee: Das „Kongodorf“ im Frognerpark zu rekonstruieren. Ihre Motivation: An den norwegischen Rassismus von 1914 zu erinnern und zu fragen, was sich verändert hat. Ob sich etwas verändert hat. Oder ob einige der Ansichten von damals noch heute aktuell sind.

Unter der Schirmherrschaft von KORO (Kunst i offentlige rom) entsteht das Projekt European Attraction Limited. Über 1 Million norwegische Kronen werden den Künstlern zur Realisierung zur Verfügung gestellt. Während die Bauarbeiten im Frognerpark beginnen, beginnt auch die Diskussion in den Medien. Kontrovers, versteht sich. Während die eine Seite ein unangenehmes Detail norwegischer Geschichte vergessen will, fordert die andere die Konfrontation damit.  Die äthiopische Schauspielerin und Aktivistin Hannah Wozene Kvam erklärt gegenüber Aftenposten: „Norwegen will es vielleicht nicht vergessen, der Kongo aber ganz bestimmt!“ Beim sozialen Netzwerk Twitter empören sich die Menschen unter #someonetellnorway darüber, dass in Norwegen ein menschlicher Zoo etabliert werden soll. Erst nach einigen Tagen kommt es zur Klarstellung, dass ein Dorf mit Strohhütten zwar aufgebaut werden wird, dort aber keine Menschen leben werden.

Obwohl, so ganz von der Hand zu weisen ist die Unterstellung nicht. Gerüchten zufolge war der Plan der beiden Künstler schon, die Hütten bewohnen zu lassen. Die Ablehnung dieser Idee durch das Jubiläumskomitee erfolgte wohl aber auf dem Fuß.

Wie präsentiert sich das Kunstwerk also?

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Auf einer Wiese im Frognerpark, genau gegenüber des Kanvas-Kindergartens: Ein gewaltiges, rotes Tor mit der Überschrift „Kongolandsbyen“ (Kongodorf),  vor dem die Flaggen Norwegens und Belgiens wehen, führt die Besucher zu zehn leer stehenden Strohhütten. Vorne am Tor eine Erklärung des Projekts und das Gedicht von Knut Hamsun In 100 Jahren ist alles vergessen. (Dass ausgerechnet ein norwegischer Dichter, der Hitler und den Bau von Konzentrationslagern verteidigte, hier auftaucht, lässt mich immer noch grübeln.) Während zwei Kinder in der langgezogenen Hütte Fangen spielen, wandere ich von Hütte zu Hütte und bin ratlos.

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Beklommen soll mich der Besuch werden lassen und mir den immer noch existierenden Rassismus in Norwegen deutlich machen, las ich in VG (nur Norwegisch). Aber ist und war Norwegen wirklich rassistischer als andere europäische Länder? Die Frage bedeutet ja nicht, dass das Thema nicht hochaktuell ist und behandelt werden sollte. Sich aber ein „Kongodorf“ als Sinnbild für norwegischen Rassismus zu nehmen, das so oder in abgewandelter Form in vielen europäischen Ländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu finden war, ist das nicht übertrieben? Dagbladet (nur Norwegisch) schlug vor, dass sich die Besucher gegenseitig betrachten sollen, da wir heutzutage alle Teilnehmer in einem „lebendigen Dorf“ sind.

Vielleicht gibt es Besucher, die das eine oder andere empfinden beim Gang durch das öffentliche Kunstwerk. Mir fehlt ein klares Konzept und die konsequente Durchführung: Warum nicht Freiwillige in die Hütten setzen, die sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart präsentieren? Die die Fragen um Rassismus und Voyeurismus von 1914 mit denen von 2014 verbinden? DAS würde mich nachdenklich machen. Leere Hütten? Nee, leere Hütten bringen es nicht.

***

So, meine lieben Leser, das war es schon für heute. Rassismus in jeder Art darf keinen Platz in unserer Welt haben. Angst zu haben vor dem, der fremd ist; sich überlegen zu fühlen und dabei in Wahrheit unterlegen zu sein; sich mit rassistischen Kommentaren in einem der Selbstdarstellungsmedien als besonders witzig zu präsentieren…das alles ist armselig und dumm. Wünschen wir uns also weniger dumme Menschen in der Welt und ein besseres Miteinander! Und nicht nur wünschen: Arbeiten wir daran!

Ha det bra,

...ein weiterer Akt der Selbstdarstellung...

…ein weiterer Akt der Selbstdarstellung…

Ulrike

P.S. Wer sich selber ein Bild machen will: Noch bis zum 31. August kann „Kongolandsbyen“ im Frognerpark besichtig werden.

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Ein Kommentar zu “Das Kongodorf im Frognerpark ODER In 100 Jahren ist alles vergessen?

  1. Ja, wirklich. Das mutet schon irgendwie armselig an. Man hätte zum Beispiel in den Hütten Abbildungen vom „Kongodorf“ damals und der afrikanischen Realität von damals gern auch heute zeigen können, um mal zu hinterfragen, ob und wie konstruiert unsere Vorstellung vom Kongo war und ist. Mit ein bisschen Nachdenken käme man sicherlich auf noch viele andere gute Ideen. … oder vielleicht hätte man es auch ganz lassen und sich den wichtigen Fragen des Tagesgeschehens widmen können: zum Beispiel der Bekämpfung von Ebola im Kongo und anderswo.

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