Brief an meine neue Heimat ODER 365 Tage in Oslo – Ein Rückblick

kransekake

Liebes Oslo,

wir haben heute Jubiläum. Du und ich. 365 Tage leben wir schon zusammen.

Ein ganzes Jahr.

Wow, oder?

Weißt du noch, wie wir vor einem Jahr hier ankamen? Es schneite und ich konnte es nicht fassen, denn in Frankreich hatte der Schnee schon im Dezember seine Sachen gepackt und sich verpieselt. Wir schoben unsere Koffer um den Bahnhof herum, auf der Suche nach einem Taxi. Kurze Zeit später kamen wir an Middelthunsgate 25C an. Unserem neuen Zuhause.  In der völlig leeren Wohnung haben Martin und ich uns angegrinst, froh, endlich hier zu sein.

Und dann ging es los und ich kann nur sagen, Oslo, dass du es uns leicht gemacht hast. Oder immer noch machst. Sprache, Menschen, Orte – alles war so schnell zugänglich.

Gleich in den ersten Tagen haben wir gemerkt, dass Englisch ausreicht, um sich in jeder Situation zu verständigen – na, da fiel mir ein Stein vom Herzen, das kann ich dir sagen. Schon war alles viel problemloser. Aber ich habe mich auch mit deiner Sprache angefreundet und nach wenigen Wochen kristallisierten sich aus dem „snögeldags“-Misch erste verständliche Worte heraus. Jubel!

In der ersten Woche führte mich mein Weg auch gleich in die deutsche Gemeinde, und Oslo, ich sage dir, das war eine gute Entscheidung. Ich stand etwas verloren im Gemeindesaal, wurde aber von Friedbert Baur gleich so herzlich begrüßt, dass alles gut war. Als hätte ich geahnt, dass die Gemeinde der perfekte Anlaufpunkt war, haben wir in den kommenden Monaten tolle Menschen kennengelernt. Nicht nur Deutsche. Auch Norweger, Österreicher, Dänen.   In der Gemeinde, beim Kinderbibeltag, in der Theatergruppe und in der Teestube. Viele Deutschsprachige leben hier und über die Zeit hatten wir zu manchen Kontakt. Deutscher Stammtisch, Goethe-Institut, und und und…..manche habe ich sogar hier über diesen Blog kennengelernt.

Oslo, dich zu erkunden macht Spaß. Ich weiß noch, unsere erste Tour mit der T-Bane Richtung Frognerseteren. Blick auf den Fjord, Sonnenschein und von oben ein genialer Blick über die Stadt. Also dich. Wunderschön. Bygdoy ist einer meiner Lieblingsorte geworden und im Sommer mit der Fähre  zwischen den Inseln zu fahren, ist ein großer Spaß. Deine Museen sind klein, aber nach 5 Jahren Frankreich und regelmäßigen Besuchen im Louvre und Musee d’Orsay wäre es unfair, dich mit anderen Städten zu vergleichen. Du bist eben keine Kulturhochburg, aber dafür….

HAST DU DIE KÖNIGSFAMILIE!

Oslo, ich sage dir, das war ein Jubel, als ich König Harald und Königin Sonja das erste Mal live gesehen habe. Wahrscheinlich hast du kopfschüttelnd in deine Vororte gelacht, als du die Deutsche gesehen hast, die am 17. Mai ganz aufgeregt vor dem Schloss hin- und hergesprungen ist, als sich die Türen am königlichen Balkon geöffnet haben. Aber du musst schon entschuldigen, es ist das erste Mal für mich gewesen und ich bin eben eine Klatschtante.  Am selben Ort habe ich auch das norwegische Geburtstagslied „Hurrah for deg“ gelernt, dass im Juli aus vielen Kinderkehlen Richtung Balkon gesungen wurde, um König Harald zu gratulieren. Siehst du, Monarchie bildet.

Gebildet hast du mich auch in den letzten 12 Monaten.  Oder sagen wir, erzogen. Zu mehr Ruhe. Es muss eben nicht alles hopphopp gehen und wer bin ich, dass ich mich gegen eine ganze Stadt wehren will? Machen wir die Sachen eben ruhiger.  Neue Lebensmittel hast du mir gezeigt und ja, ich mag Lefzen und NEIN, ich esse immer noch keinen Geitost, da kannst du machen, was du willst. Eines der schönsten Dinge, die du mir gezeigt hast, heißt „Winternacht in Rondane“:

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@Kemedinger2011

Ein wahres Wunder ist es, dass du mich zum Joggen gebracht hast. MICH! Das hast du sehr geschickt angefangen. Erst hast du mir die unzähligen Jogger über den Weg geschickt, die den Frognerpark stürmen, sobald das Wetter besser ist. Irgendwann kam ich mir beim Spazierengehen echt albern vor. Dann hast du mich beim Zentrumslauf zuschauen und mitjubeln lassen. Und da auf einmal: ZACK. Wollte ich laufen. Und habe durchgehalten. Auch wenn du meine und Martins Nerven in den kommenden Monaten strapaziert hast, denn, was du nicht wissen konntest: Ich bin nicht lustig, wenn ich Sport mache. Aber es wurde besser. Der erste 10km-Lauf war eine Herausforderung und du hast Ines und mich ganz schön mit deinen teilweise holperigen Waldwegen und zu engen Fußwegen geärgert. Aber trotzdem hat es Spaß gemacht. Und nun fange ich wieder an. Well done, Oslo, du hast mich sportlich gemacht!!

Also, für meine Verhältnisse.

Immerhin!

Chapeau.

Das vermisse ich oft in dir. Das Französische. Die Lebensfreude. Das „savoir vivre“. Du bist keine Genießerstadt. Du bist praktisch, bodenständig, konsumorientiert, effektiv – aber nicht romantisch oder lebensfroh. In dir kann man arbeiten und wohnen, aber das warme Lebensbauchgefühl bekomme ich, wenn ich an Paris denke.  Ma belle.

Das ist aber auch ein unfairer Wettkampf und wo Paris an Stimmung, Kultur und Lebensfreude gewinnt, gewinnst du ganz klar in:  Natur – direkt vor der Haustür! Deine umgebenden Wälder sind wunderschön, der Fjord und die Seen laden zum Baden oder Eislaufen ein und wer die Natur mag, wird sich in dir niemals langweilen.  Wie freue ich mich darauf, wenn im Frognerpark wieder die Bäume blühen und der Songsvann wieder eisfrei ist. Deine Lage ist einfach perfekt und immer wieder eine Freude!

Ich bin froh, dass ich hier lebe. Bestimmt nicht für immer, denn es gibt noch so viele Plätze auf der Welt zu erkunden, aber für den Moment sind wir hier und mögen dich.  Ich bin gespannt, was die nächsten Monate bringen. Aber für heute sei gesagt:

Oslo, lass die Korken knallen und uns anstoßen auf unser einjähriges Jubiläum!

Tusen takk, Oslo. Vi liker deg.

OsloeinJahr