Hallo, Tante Pose! ODER Von Plastiktüten und dem norwegischen Staatshaushalt

filmbasen,no

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Bevor ich nach Norwegen kam, habe ich diese hübschen Stoffeinkaufsbeutel benutzt. Ihr wisst schon, die, die man so zusammenknüddeln kann, um sie dann in eine kleine Tasche zu stecken. Fand ich super! In Schottland war ich ganz wild auf die TESCO-Jute-Einkaufstasche mit Marienkäfern und trug sie auch noch in Frankreich begeistert mit mir herum. Hier in Norwegen? Da bin ich ein Tütenmonster geworden. Wirklich wahr. Aber damit ist bald Schluss. Denn die norwegische Regierung hat zugeschlagen und will Plastiktüten versteuern. Aber nicht aus ökologischen Gründen.

Der Staat braucht Geld.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. In Oslo diskutierten die Regierungsparteien in den letzten Wochen den Staatshaushalt 2015. Budgetverhandlungen sind nicht einfach. Das kennen wir ja von uns. Im Gegensatz zu uns stritten die vier Parteien aber tagelang über Steuern, Ökoabgaben oder die Nutzung des Öl-Fonds. Am Ende stand fest: Es fehlt Geld. So ganz habe ich das Problem nicht begriffen, aber das Loch im Staatshaushalt scheint mit der Senkung der Vermögenssteuer zusammenzuhängen. Finanzministerin Siv Jensen (Fortschrittspartei) stand also vor der Frage: Woher bekommen wir die fehlenden Milliarden? Und dann muss irgendwer im Supermarkt eine Erleuchtung gehabt haben:

PLASTIKTÜTENSTEUER!

Wart Ihr schon einmal in einem norwegischen Supermarkt einkaufen? An der Kasse fragt die Kassiererin: „Vil du ha pose?“, ob Ihr also eine Tüte möchtet. Ein „Ja, bitte!“ belastet das Portemonnaie mit 1 norwegischen Krone. Deutsch wie ich bin, dachte ich immer, diese eine Krone soll mich davon abhalten die Tüte zu kaufen, ergo zu umweltbewussterem Handeln verleiten. Folge ich dieser Logik, müsste die Regierung mit ihrer Plastiktütensteuer wollen, dass ich keine Tüte kaufe.

Falsch.

Erinnert Euch: Die Regierung braucht Geld.

Statt also auf eine Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs zu hoffen, zählen die Politiker offensichtlich darauf, dass Norweger und Ausländer weiterhin kaufen. Jede Tüte soll 1,50 Krone kosten. Im Supermarkt, der ja bereits 1 Krone verlangt, steigt der Preis also auf 2,50 Kronen. Dem Staatssäckel soll das 1 Milliarde norwegische Kronen zusätzlich bringen.

1 Milliarde….das muss man sich mal vorstellen.

Seit die Tütenabgabe (Poseavgift) letzte Woche beschlossen wurde, schlagen die Wellen hoch. Kritiker werfen der Regierung vor, überhaupt eine neue Abgabe einzuführen und auf der anderen Seite die Vermögenssteuer so zu senken, dass die Reichsten den größten Vorteil haben. Supermarktketten schreien auf und fragen, wie diese Abgabe denn praktisch durchgeführt werden soll. Und die Renovasjonsetater, die kommunen Abteilungen für Abfallwirtschaft, befürchten umweltschädigende Folgen durch die Tütenabgabe.

Das musste ich dann mehrfach lesen, um es zu verstehen.

Die Abteilung für Abfallwirtschaft, die hier in Oslo seit knapp drei Jahren die Mülltrennung durchführt und damit, in meinen Augen, ökologische Ziele verfolgt, spricht sich gegen die Tütensteuer und damit, finde ich, gegen eine eventuelle Reduzierung von Plastiktüten aus. (Denn, seien wir ehrlich, es könnte auch sein, dass das mit der Milliarde nichts wird und die Leute einfach weniger Plastiktüten kaufen. Könnte sein.) Die Abfallbeauftragten fürchten folgendes Szenario: Die meisten Norweger benutzen die Plastiktüten aus dem Supermarkt als Mülltüten für ihren Restabfall (in Oslo) oder ihren Bioabfall (im Rest des Landes). Beraubt man die Menschen nun ihrer „Mülltüten“, werfen sie ihren Müll vielleicht tütenlos in die Mülltonne. Besonders bei Bioabfall keine gute Idee, so die einheitliche Abfallexpertenmeinung von Oslo bis Bergen. Die Tonnen würden anfangen zu stinken. Plastiktüten seien dagegen hygienischer. In Oslo bestehe auch die Gefahr, dass die Bevölkerung ihre Müllsortierbeutel, die es kostenlos im Supermarkt gibt, für den Restmüll benutze. Das wiederum wäre ein großes Problem für die automatisierte Mülltrennung und würde zusätzliche Kosten verursachen. Außerdem sei das Recycling gefährdet, da sich eventuell nicht recyclefähiges Material in den Recycleprozess mischen könnte.

Hm.

Ich bin kein Müll- oder Umweltexperte, aber wenn ich quasi zum Gebrauch von Plastiktüten aufgefordert werde, finde ich das seltsam. Schließlich wird man in vielen anderen Ländern davon abgehalten. Gerade letzte Woche haben sich beispielsweise die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten auf eine Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs bis 2025 geeinigt. Aus ökologischen Gründen. In Irland werden Plastiktüten bereits mit 22 Cents pro Stück besteuert (aus Ökogründen), in Italien sind Tüten aus nicht abbaubarem Material verboten. Der Trend geht also weg von der Tüte. In Norwegen hingegen scheint man auf das weiterhin tütenbejahende Verhalten der Bevölkerung zu hoffen.

Ab März 2015 soll die poseavgift offiziell erhoben werden und bis dahin müssen noch viele Fragen geklärt sein. Zum Beispiel, ob eine kleine Tüte aus der Apotheke genauso viel Abgabe kostet wie die große Tüte im Supermarkt? Wie wird die Abgabe in Geschäften erhoben, deren Tüten bisher kostenlos waren? Muss der Kunde an der Supermarktkasse pro Tüte 2,50 Kronen bezahlen oder wird die Abgabe auf Produkte umgelegt? Und die im Moment am meisten diskutierte Frage: Wessen Idee war die Tütensteuer überhaupt???

Es gibt eine norwegische Filmkomödie mit dem Titel Tante Pose, also Tante Tüte. Darin stört, laut Wikipedia, eine schlechtgelaunte Tante durch ihren Besuch das ansonsten harmonische Weihnachtsfest einer norwegischen Familie. Wer, fragen die norwegischen Medien, ist die Tante Pose 2014? Welche Tütentante ist schuld an der Tütensteuer?

Finanzministerin Siv Jensen will es nicht sein, eben sowenig wie Trine Skei Grande von der Venstre-Partei. Die behauptet aber, es sei die Idee von Jensens Fortschrittspartei gewesen, was ihr von der Seite den Vorwurf einbrachte, sie sei eine Lügnerin. Und so streiten sie sich hin und her und am Ende kann ich nur dem Kommentator von Dagens Næringslivs, Kjetil B Alstadheim, zustimmen, der meinte, es sei ein gutes Zeichen, dass am Ende von schwierigen Budgetverhandlungen der Streit über Plastiktüten ausbreche. Größere Probleme habe das Land anscheinend nicht.

Mich hat die ganze Tüten-Diskussion dazu gebracht, endlich meine bunten Stoffbeutel zu reaktivieren und Müllbeutel von der Rolle zu benutzen. Das ist zwar anscheinend nicht im Sinne der Regierung, aber hoffentlich besser für die Umwelt.

***

Das war es schon für heute, meine lieben tütenlosen Leser. Danke an Christine, die mir das Tütenthema vorgeschlagen hat (ich werde sie deswegen aber nicht Tante Pose nennen! :)….). Es schneit in Oslo und die Adventszeit steht vor der Tür. Meine Lieblingszeit! Ich wünsche uns allen Tannenduft, leckere Kekse, Schneeballschlachten, heiße Schokolade, Kerzenschein und vor allem genug Ruhe, die Zeit zu genießen. Ehrlich! Fahrt Euren Weihnachtsstress runter, legt die Weihnachtsliste beiseite, schnappt Euch Partner, Kinder, Eltern, andere Familienmitglieder, Freunde oder Haustiere und habt einfach Spaß zusammen! Allen in Norwegen empfehle ich für dieses Wochenende einen Blick zu NRK 2: Minutt for Minutt, das norwegische Slow-TV-Format ist diesmal musikalisch. 200 norwegische Chöre singen das neue norwegische Gesangsbuch – alle 899 Lieder in 60 Stunden. Außerdem startet am 1. Dezember der Aufmunternde Adventskalender und ich freue mich zu lesen, ob und wie Ihr Euch daran beteiligt!

Ha det bra,

2014-11-07 11.19.07

(meine Lieblings“tüte“ samt Lieblingsinhalt)

Ulrike

 

Wer ist Marius? ODER Stricken wie die Norweger…

„Du glaubst nie, was ich von meinen Kollegen als norwegisches Abschiedsgeschenk bekommen habe!“ fordert mich letztes Jahr meine Freundin Ines zum Raten heraus. Ich schwanke zwischen Brunost-Hobel und Langlaufskiern. „Einen Mariusgenser!“ – „Wow!“ sage ich, um ihre Begeisterung nicht zu dämpfen. „Häh???“ denke ich ganz im Stillen. Einen Marius…was?

Hallo, meine lieben Leser und schön, dass wir uns hier wieder treffen. Ich wollte die Wissenslücke nicht lange offen lassen und googlete „Mariusgenser“. Ach soooo, rief ich kurz danach! Da denkt man, man kennt etwas nicht, aber in Wirklichkeit ist nur der Begriff unbekannt. Dabei hatte ich Mariusgenser schon oft gesehen und bewundert. Jeder Norweger scheint einen zu besitzen. Ihr kennt die auch:

Dieser Pullover schreit geradezu „Nooooorwegen!“ und das typische Muster findet sich heute nicht nur auf Pullovern sondern auf Kaffeebechern, Autos, Handyhüllen, Radiergummis, Kuchentellern, Souveniren, selbst mein Klopapier schmückt sich zur Weihnachtszeit mit Mariusmuster. Hier ist die Anleitung:

Quelle: Marius strikkebok

Quelle: Marius strikkebok

Aber wer ist nun dieser Marius, nachdem dieses Muster benannt wurde?  Als ich diesmal nur „Marius“  in das Google-Suchfenster eingebe, erscheinen:

  • Marius Müller-Westernhagen (sofort singe ich „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz…“)
  • Marius Schneider, ein deutscher Musikforscher
  • Mariusz Pudzianowski, ein polnischer Strongman. (Was das wohl ist? Kennt Ihr das? Man sucht nach EINEM Begriff und stößt dabei auf immer neue Begriffe, die man eigentlich auch googlen sollte. In diesem Fall bleibe ich aber eisern. Ich werde später herausfinden, was genau ein Strongman ist.)

Es stellt sich heraus, dass MEIN Marius nicht, wie ich dachte, der kreative Großvater meiner beider Strickgurus Arne und Carlos ist. Marius hatte mit Stricken gar nichts am Hut. Steht jedenfalls nirgendwo. Marius hieß mit Nachnamen Eriksen, war Skifahrer, Kriegsheld, Model und spielte in einer norwegischen Filmkomödie der 50er Jahre namens Troll i ord einen Skilehrer. Das war so ein cineastischer Vorfahr der Willi Bogner Filme und Marius‘ Auftrittsszene sah so aus:

http://www.youtube.com/watch?v=s6DVmqGHJ_0

Das Muster seines schicken Wollpullovers wurde 1953 für diesen Film von Unn Søiland kreiert (später hieß sie Unn Søiland Dale). Sie war die erste sogenannte „Karrierefrau“ Norwegens und ich bin mir nicht sicher, ob die Herren den Begriff damals als Kompliment meinten. Geboren 1926 in Haugesund wuchs Unn in einer Familie von Strickern auf und bekam das Stricken von ihrem Großvater beigebracht.  Eigentlich wollte sie Architektin werden, der Vater war aber dagegen und es folgte eine Ausbildung als Lehrerin. Der abenteuerlustigen Norwegerin war das aber nicht spannend genug, Unn begann als Stewardess zu arbeiten und später als Mannequin in Paris. Wenn sie gerade nicht über den Laufsteg lief, strickte sie. Und zwar mit Erfolg. Nachdem Boutiquen in Paris Interesse an ihren Kreationen gezeigt hatte, kehrte sie zurück nach Norwegen und startete ihre eigene Firma Lillunn.

Nachdem ihre Strickmuster Eskimo

und Slalom

…erfolgreich in ganz Norwegen nachgestrickt wurden, bekam Lillunn 1953 den Auftrag, alle Darsteller des neuen Films Troll i ord mit ihren Wollpullovern auszustatten. Ergebnis war das Marius-Muster, inspiriert von Mustern aus dem Setesdal. Statt aber die natürlichen Farbtöne weiß, schwarz, braun und weiß zu nehmen, entstand ein kräftiges  Muster in den norwegischen Nationalfarben blau, weiß, rot. Und dieses nationalstolze Muster, dessen Rechte noch heute die Wollfirma Sandnes besitzt, sollte möglichst gut vermarktet werden. Marius Eriksen wurde als Werbeträger ausgewählt.

Schwupps, der Mariusgenser und das Muster Marius sind geboren.

Seit 1953 hat Sandnes die Strickanleitung zum Mariusmuster millionenfach verkauft. Das Muster wird in den verschiedensten Farben und Farbkombinationen gestrickt und gerne parodiert: 2008 kreierten Arne und Carlos für die Molkerei TINE den Cheese Attack – Pullover, bei dem sich Außerirdische im klassischen Strickmuster tummeln.

Im November 2014 startet die norwegische Zeitung VG einen Wettbewerb: Gesucht wird der Magnusgenseren, ein Muster gewidmet dem norwegischen Schachstar Magnus Carlsen. Moods of Norway, DIE norwegische Modefirma, wird den Pullover produzieren.

Und nun ist es passiert: Ich will auch einen Mariusgenser. ALLE haben einen und ich tendiere dazu, Sachen haben zu wollen, die alle haben. Blöd, was? Aber ich werde mir Marius nicht kaufen, ich werde ihn stricken. Jawohl! Aber zuerst muss ich mich mit dem Muster besser anfreunden. Darum beginne ich klein: Mit Topflappen. Im neu erstandenen Buch und Quelle für diesen Artikel Marius strikkebok habe ich die Auswahl zwischen Handytaschen, Babystramplern, Skistrümpfen und eben Topflappen. Und die werden es jetzt erstmal.

Ich werde Euch das Resultat später vorführen. An die Nadeln, fertig, los!

***

Das war es für heute, meine lieben Leser. Strickt Ihr auch? „Stricken konzentriert die Gedanken!“ soll Unn Søiland Dahl gesagt haben. Außerdem macht es Spaß, sage ich. Und wenn alles nach Plan verläuft, hat man am Ende einen wunderbar warmen Pullover, dicke Socken oder…naja, eben Topflappen. Interessanterweise haben früher (nur hier in Norwegen?) Männer genauso selbstverständlich gestrickt wie Frauen. Alle männlichen Leser seien also aufgefordert, auch mal zu den Nadeln zu greifen!

Ich wünsche uns allen eine tolle, gemütliche, warme und wollige Woche. Das Wetter lädt zum Stricken, Lesen, Backen und Tee trinken geradezu ein! Lasst es Euch gut gehen, lernt etwas Neues oder beschäftigt Euch mit Traditionen.

Ha det bra,

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Ulrike

 

Norwegischer Adventskalender der anderen Art ODER Jeden Tag eine gute Tat!

@Casper Cornelius Roalsvig Vasbotten

@Casper Cornelius Roalsvig Vasbotten

In manchen findet sich Schokolade, in anderen ein literarisches Zitat, einige bieten Bilder für jeden Tag bis Weihnachten und andere sind mit viel Liebe selbstgemacht: Adventskalender! Seit über 100 Jahren verkürzen sie uns die Zeit bis zum Weihnachtsfest. Hier in Oslo startete nun ein ganz besonderer Kalender unter dem Motto: „Jeden Tag eine gute Tat!“

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Der erste weihnachtlich angehauchte Blogartikel 2014 *TUSCH*!! Und interaktiv wird es am Ende auch noch.

Das nur schon mal als Vorwarnung!

Vor einigen Tagen bekam ich über mein soziales Lieblings-Netzwerk Facebook eine interessante Meldung: Ines lud mich ein, mich am Oppmuntrende Julekalender 2014 zu beteiligen. Adventskalender muntern mich generell auf (vor allem die mit Schokolade) und ich klickte begeistert auf die Seite der Aktion. Doch nein, der Kalender wollte nicht MICH aufmuntern, ICH sollte das Aufmuntern unternehmen. Und zwar 24 Tage lang. Eben vom 1. bis 24. Dezember.

Interessantes Konzept, fand ich, und las weiter.

„(…) In der Weihnachtszeit geht es zu oft um Geschenke, Stress und Nörgeleien. Ich hätte lieber, dass es darum geht, den Menschen um mich herum zu zeigen, was sie mir bedeuten, wie wichtig sie für mich sind und wie sehr ich sie liebe. (…)“

Ohne religiös zu werden, hat der Initiator hier doch den Kern des jährlichen Weihnachtsstresses getroffen. Genau, es geht um die Menschen um uns herum! Nicht um Geschenke, Menüs, Dekoration oder Einkaufslisten. Versteht mich nicht falsch: Ich liiiebe Geschenke. Ich schenke gern und werde gern beschenkt. Und da ist ja auch nichts gegen einzuwenden. Aber die Prioritäten müssen stimmen. Und wenn ich die Adventszeit wegen organisatorischer Großprojekte nicht genießen kann, dann läuft etwas falsch!

Hier greift der Kalender ein. Denn was soll ich tun in den 24 Tagen?

Ich soll Menschen oppmuntrener… aufmuntern also oder ermutigen.

Und wie?

“Es funktioniert ziemlich einfach. Jeden Tag im Dezember (vom 1. bis 24.) munterst du Menschen in deiner Nähe auf: Geschwister, Freunde, Großeltern oder wen auch immer du willst. WIE du das machst, entscheidest du. Natürlich kannst du auch jemanden aufmuntern, den du nicht kennst: Bettler auf der Straße, die Person neben dir im Bus oder wen ganz anders. Kauf ihnen Schokolade, mach ihnen ein Kompliment oder tu etwas, von dem du denkst, dass es sie ermutigen und freuen würde. Das muss keine große Aktion sein. Eine kurze, freundliche Bemerkung kann bereits den ganzen Tag einer anderen Person besser machen.“

Nun muss ich nochmal nachgucken, ob der Initiator wirklich Norweger ist: Ich soll einfach eine Person IM BUS ansprechen???? Hier in Oslo, wo Augenkontakt in der T-Bane fast schon sexueller Belästigung gleich kommt?? Bettler auf der Straße haben wir allerdings genug, die werden sich wundern, was in den nächsten Wochen vor ihren Pappbechern und Hüten los ist.

Pfui, das war sarkastisch. Ich konnte nicht widerstehen. Entschuldigung.

Ich finde die Aktion wirklich ganz prima. Ein ganz klein bisschen naiv, aber was wäre die Weihnachtszeit ohne eine Portion Naivität und für gute Taten ist schließlich fast jedes Mittel recht. Und vielleicht hilft in unserer leistungs- und besitzverrückten Industriewelt auch nur noch Naivität weiter.

Die Aktion schlägt auf jeden Fall ein wie eine Bombe.

Ob ich in einem adventlichen Blog ein derartig kriegerisches Bild verwenden darf?

Ha! Ich hab’s!

Die Aktion schlägt auf jeden Fall ein wie eine WASSERbombe.

Geht doch.

In nur zwei Wochen haben sich über 10.000 Facebooker angemeldet. Das seien 240.000 Aufmunterungen, rechnet Ole Jose Norum, der den Adventskalender 2010 startete, in einem Kommentar vor. Damals waren es 500 Teilnehmer, eine Zahl, die der Kalender 2014 in wenigen Stunden erreicht hatte. Nun könnte man wieder kritisch werden und fragen: „Naja und WIE VIELE davon werden sich auch wirklich jeden Tag für 24 Tage die Zeit nehmen?“

ALLE, sage ich. Weil ich heute nämlich optimistisch bin. Und weil gestern eine Raumsonde nach 10jähriger Reise auf einem Kometen gelandet ist und ich daher der Meinung bin: Wir Menschen können alles, was wir wollen!

So.

Ich finde den Oppmuntrende Julekalender eine ganz fantastische Idee! Hier im Blog wird es ab dem 1.12. eine Extraseite dafür geben, auf der ich meine Ermutigungen notieren werde.

Und nun wird es interaktiv! DENN:  Für Euch ist da auch Platz! Denn schließlich ist nicht jeder bei Facebook und kann sich der Aktion dort anschließen.

Was völlig okay ist.

Doch, doch.

Nein, wiiirklich!

Obwohl…warum seid Ihr denn nicht dabei? Wir könnten uns prima befreunden. Ich poste auch unglaublich witzige Sachen! Gestern beispielsweise habe ich….

„ULRIKE!“

Zurück zum Punkt.

(Das war übrigens mein Gewissen, das darf jetzt auch beim Blog mitmachen.)

„Ulrike, weiter!“

Ich wollte dich ja nur vorstellen!

„DAS war meine Vorstellung?“

Äh..ja?

„Ulrike…“

Nein, nein…natürlich nicht. Dir gebührt ein ganzer Artikel. Mindestens.

„Genau. Und nun weiter im Text.“

(In unsichtbarer Geheimschrift nur für Leser lesbar: Hilfe, mein Gewissen terrorisiert mich.)

Da also nicht alle Leser bei Facebook sind, fordere ich Euch einfach hier auf: Macht mit!! Schickt mir einfach jeden Tag per Kommentar EURE „Gute Tat des Tages“. Ich werde Ole per Facebook informieren, vielleicht verlinkt er uns ja mit seiner Seite!

Man wirft den Norwegern gerne vor, sie seien reservierte Mitmenschen und ähnlich kalt wie das Land, aus dem sie stammen. Aber diese Aktion und auch die landesweite Teilnahme zeigt mal wieder: Vorurteile sind eben nichts wert!

***

So, das war es schon für heute. Die norwegische Internetwelt bietet viele interessante Fundstücke wie heute den Oppmuntrende Julekalender und ich werde mich 2015 weiter im norwegischen Netz für Euch umgucken. Hier in Oslo wird es immer früher dunkel und immer später hell, im Park jagen Gesa und ich die letzten Sonnenstrahlen, die Weihnachtsbeleuchtung erhellt den Bogstadveien und wir haben „Die Feuerzangenbowle“ schon rausgeholt. Uns allen wünsche ich eine tolle Woche, seid doch jetzt schon mal nett zu anderen (aber das seid Ihr bestimmt sowieso schon, oder? ;)…) und kauft Kerzen, Kerzen, Kerzen!

Ha det,

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Ulrike

Freie Fahrt für Kinderwagen ODER Oslo, was hast du gegen mich??

Seit einigen Wochen habe ich einen neuen, ständigen Begleiter: Simo, der Kinderwagen. Dank ihm muss ich unsere immer schwerer werdende Tochter nicht durch die Stadt tragen, sondern kann Gesa in sein komfortables Inneres legen und losschieben. Und dann wieder stoppen. Und wieder schieben. Ein bisschen fluchen. Wieder schieben. Stoppen. Fluchen. Schieben. Stoppen. Fluchen. Schieben. Das ist kein bisschen Simos Schuld. Oh nein. Die bittere Wahrheit ist: Oslo ist ein Alptraum für Kinderwagen.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Heute mal wieder mit einem Babythema und zwar mit einem, das mich jeden Tag an den Rand des Nervenzusammenbruchs führt: Kinderwagen und Oslos Bürgersteige.

Dabei habe ich einen super Gefährten: Simo, der Kinderwagen, ist laut Werbung Sjef på fortauet und Konge på veien, Boss auf dem Bürgersteig und König auf dem Weg! JAWOLL! Habt Ihr das gehört, Osloer Bürgersteige??? BOSS und KÖNIG!!!! Und was macht Ihr mit meinem so hochherrschaftlichen Kinderwagen?? Mit dem wunderbaren Simo, der Respekt verdient und freie Fahrt??

IHR BLOCKIERT IHN!

Und mich.

Ständig.

Um diesen Vorwurf zu verdeutlichen lade ich Euch, liebe Leser, ein, mich auf einem unserer typischen Wege zu begleiten. Von unserer Wohnung in der Sorgenfrigata zum Frogner Gesundheitszentrum am Solliplatz. Dort wird Gesa jeden Donnerstag gewogen. Laut Google Maps ist die Strecke 1,8 Kilometer lang und dauert zu Fuß 21 Minuten.

Klar.

Ohne Kinderwagen.

MIT dauert sie gefühlte fünf Stunden.

Und das liegt nicht daran, dass Simo mit seinen knapp 16 Kilo plus 5 Kilo Gesa, das also die insgesamt 21 Kilo für mich zu schwer zu schieben wären…oh nein! Kinder tragen und schieben stärkt die Muskeln und mittlerweile könnte ich wohl auch Sumo-ähnliche Drillinge locker lächelnd den Brocken hochschieben. Daran liegt die unendliche Wegzeit also nicht. Sie liegt an den unzähligen Hindernissen, die sich heimtückisch in Simos Weg stellen.

Oder sich werfen, im Falle der toten Elster.

Na, das war ein Morgen.

Aber weiter im Text.

Starten wir also in der Sorgenfrigata. Dass unsere Haustür so viel wiegt wie eine Herde Elefanten ist nicht die Schuld der Osloer Bürgersteige, zählt also nicht für die Strecke.

Aber gemein ist es trotzdem!

Wir befinden uns vor der Tür und biegen schwungvoll nach rechts ab auf den Bürgersteig. Nicht zuuuu weit nach rechts aber, ansonsten versinken Simos Reifen im ersten von vielen Schlaglöchern. Oslos Bürgersteige sind voll davon. Eigentlich gibt es in Oslo keine Bürgersteige, sondern nur eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern verbunden mit ein bisschen Asphalt.

Ich lenke Simo geschickt am Loch vorbei und genieße zehn Meter freie Fahrt. Dann: Ein Baum.

Nein. Falsch.

Ein BAUM.

Ich habe nichts gegen Bäume. Wirklich nicht. Ich bin zahlendes Mitglied bei NABU und Greenpeace, habe schon eine Kastanie umarmt und im Wald Urschreitherapie gemacht. Mein Freund, der Baum.

Aber…

Steht so ein Baum wie eine borkenumrandete Walküre mit Stoppschild mitten in meinem Weg, mit Wurzeln, die sich durch den Asphalt schieben und Ästen, die mir die Sicht nehmen…dann…dann…dann verspüre ich doch eine gewissen Sympathie für motorbetriebene Sägewerkzeuge. Fluchend hoppeln Simo, Gesa und ich über das Hindernis. Irgendwann werde ich hier den falschen Winkel fahren und Simo wird mit ungehemmter Kraft in den Vorgarten unserer Nachbarn kippen.

Diesmal haben wir es sicher geschafft.

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Nächster Stopp: Ein Zebrastreifen. Ähnlich wie Ampeln dienen diese Verkehrselemente dem reibungslosen Ablauf des städtischen Verkehrs. Leider sehen das nicht alle Verkehrsteilnehmer so. Manche halten sowohl rote Ampeln als auch Zebrastreifen für Elemente des eigenen Ermessens – und brettern mit voller Geschwindigkeit drüber. Erwarte ich das bei Zebrastreifen, schockt es mich doch immer wieder bei roten Ampeln. Nach dem Motto „Ich lasse mir nichts vorschreiben – von niemandem und nirgendwo!“  geben manche Auto- oder Radfahrer vor einer roten Ampel gerne noch einmal richtig Gas. Dem Fahrer des dunkelblauen Teslas, vor dessen Kotflügel uns letzte Woche nur ein gewaltiger Rückwärtssprung rettete, möchte ich an dieser Stelle sagen, was ich damals vor Schreck nicht konnte:

„Arschloch.“

Zurück am Zebrastreifen lassen wir geduldig lächelnd zwei Autos vorbei. Weiter geht es. Für die kommenden Meter haben wir freie Fahrt, überqueren die Industriegata und schieben weiter den Majorstuveien hinauf. Erklimmen den Gipfel…und treffen die ersten Regenabläufe.
Aus mir unerklärlichen Gründen enden die Regenrinnen in Oslo nicht IN der Erde, wie man das von Regenrinnen so kennt. Nein! Sie stoppen kurz vorher und hängen mit offenen Enden am Haus runter. Damit sich nun die darunterliegenden Bürgersteige nicht regelmäßig in Kneippbäder verwandeln, muss das Regenwasser in die Gosse abgeleitet werden. Und das geschieht mit Regenabläufen, ca. zehn Zentimeter breiten Vertiefungen im Bürgersteig. Unglaublich praktische Sache für Kinderwagen. Vor allem, wenn alle drei bis vier Meter so ein Ablauf auftaucht.

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Zuerst dachte ich, Simo könnte sie mit ein bisschen Schwung problemlos nehmen.

Also Vollgas und rüber!

Gesa hat noch zwei Straßen weiter gebrüllt.

Jetzt bremse ich vor jedem Regenablauf also etwas ab und setze mit viel Gefühl auf die andere Seite über. Das ist unglaublich umständlich und deshalb mein Aufruf an alle Straßeningenieure: Bitte, bitte bewerbt Euch in Oslo und TUT ETWAS!!!!!

Wir hoppeln weiter bergab. Ich erinnere mich, dass auf der linken Bürgersteigseite nach der nächsten Kurve gebaut wird. „Du Fuchs!“, lobt mich Simo, als ich auf die rechte Seite wechsle.

Dort versperrt uns ein LKW den Weg.

Ich vermute schon seit längerem, dass ich in Oslo videoüberwacht und absichtlich blockiert werde. Es kann nicht anders sein, denn eigentlich immer, wenn ich aus bestimmten Gründen auf die andere Bürgersteigseite wechsle, ist dort ein Hindernis: Ein LKW beim Ausladen, der Postbote mit seinem riesigen Brieftransportwagen, eine neue Baustelle oder eine Gruppe Jugendlicher mit pubertären Hör- UND Sehproblemen. Unzählige „Unnskyld!?“ – „Hallo?!“ – „Hei!?!“ – „HAAAAALLLLOOOOOO!!!!????“ später war ich mir damals sicher, dass Kinderwagen unsichtbar machen, bin auf die Fahrbahn geschoben und fluchend an den Jungnorwegern vorbei gehechtet. Diesmal umrunde ich also den LKW einer Brauerei. Weiter geht es bergab, vorbei an der Uranienborgkirche Richtung Oscars gate.

Nach fast drei Minuten ohne Hindernis werde ich zunehmend nervöser und blicke mich misstrauisch um. Gerade als ich die Oscars gate überquere, schießt aus dem Nichts ein Rollstuhlfahrer in meinen Weg. Nun bin ich ja ein höflicher und respektvoller Mensch. Ich biete Schwangeren meinen Platz im Bus an, halte meinem Nachbarn die Tür auf und lasse älteren Mitbürgern Vortritt an der Supermarktkasse. Für einen Rollstuhlfahrer mitten auf der Straße zu stoppen, wäre also eine meiner leichtesten Übungen. Aber ER will MIR den Weg abschneiden. Ehrlich! Nach allen verkehrsrechtlichen Erkenntnissen müsste ICH hier Vorfahrt haben und außerdem habe ich einen Kinderwagen und Simo ist schließlich der König der Wege und der Boss der Bürgersteige und ich werde schon seit mindestens einem Kilometer und zahlreichen Wochen von Zebrastreifen, Regenabläufen, Baustellen und pubertätsblinden Jugendlichen gemobbt und irgendwann reicht es mal, ich bin ja schließlich auch nur ein Mensch!!!!!!!!!!!!!!!!!

Noch als ich den Rollstuhlfahrer rasant überhole und zum Bremsen zwinge, fühle ich mich schrecklich schuldig. Ich stoppe, entschuldige mich und während er fluchend an mir vorbeifährt, lasse ich mich auf die Bank an der Ecke fallen. Gesa nutzt die Gelegenheit und ruft nach der Flasche. Ich krame in meiner Tasche nach einem glücksspendenden Schokoriegel und die nächsten Minuten verbringen wir beide mit einem Picknick. Ich überlege für einen kurzen Moment, Gesa in den Tragesack zu packen, Simo anzuketten und den Rest des Weges ohne Kinderwagen fortzusetzen.

Dann regt sich mein Kampfgeist: Ich lasse den König der Wege nicht vor den heimtückischen Bürgersteigen Oslos kapitulieren! OH NEIN! SOO NICHT! Ab mit Gesa in den Wagen, die Bremse gelockert und mit neuem Schwung ab in die Inkognitogata.

Als erstes fällt mir da eine Kastanie auf den Kopf.

Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen und ignoriere auch den Baukran vor der Botschaft von Südkorea. Immerhin gibt es hier keine Regenabläufe, versuche ich die Situation positiv zu sehen und schiebe grimmig durch die enge Lücke zwischen dem Zaun der italienischen Botschaft und einem schief parkenden Geländewagen. An der Ecke Inkognitogata und Colbjørnsens gate leiste ich mir ein kleines Duell mit einer Jogger-Twist-Mutter, das ich dank Masse von Simo und ungebremster Schubkraft haushoch gewinne. „Diese dreiräderigen Stadtkinderwagen sind eben nicht kampffähig“, höhnt Simo und rollt siegestrunken bergab. Wir sind auf den letzten Metern, schlängeln uns noch einmal an einer blind-tauben Pubertierenden und ihrem riesigen Koffer vorbei und biegen gegenüber des Ibsen-Museums auf die wohl schlimmste Baustelle in ganz Oslo. Den aufgerissenen Solliplass. Für einen kurzen Moment bezweifele ich, dass Simo durch die von den Bauarbeitern gelassene Lücke auf dem Bürgersteig passt, aber wir versuchen es trotzdem und – Eureka – es passt! Nun nur noch die Rampe vor dem Gesundheitszentrum hoch – natüüüürlich kommt uns eine Frau ohne Kinderwagen, Gehhilfe oder Rollstuhl entgegen und wir müssen warten. Logisch.

Dann sind wir da. Nach nur 37 Minuten.

Wie freue ich mich darauf, wenn Gesa laufen kann.

***

Das war es für heute, meine lieben Leser. Bald kommt der Winter und die Osloer Bürgersteige verwandeln sich zu eisglatten Gefahrenquellen. Mal sehen, was Simo, Gesa und ich dann erleben werden! Euch allen wünsche ich eine Woche ohne Hindernisse, immer freie Fahrt und im Notfall gute Nerven. Die Temperaturen sinken und nicht mehr lange, bevor der Schnee kommt, vermute ich. Wir genießen die Sonne so oft wir können und freuen uns auf einen schönen Winter.

Noch. 🙂

Ha det bra,

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Ulrike