Bevor ich nach Norwegen kam, habe ich diese hübschen Stoffeinkaufsbeutel benutzt. Ihr wisst schon, die, die man so zusammenknüddeln kann, um sie dann in eine kleine Tasche zu stecken. Fand ich super! In Schottland war ich ganz wild auf die TESCO-Jute-Einkaufstasche mit Marienkäfern und trug sie auch noch in Frankreich begeistert mit mir herum. Hier in Norwegen? Da bin ich ein Tütenmonster geworden. Wirklich wahr. Aber damit ist bald Schluss. Denn die norwegische Regierung hat zugeschlagen und will Plastiktüten versteuern. Aber nicht aus ökologischen Gründen.
Der Staat braucht Geld.
Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. In Oslo diskutierten die Regierungsparteien in den letzten Wochen den Staatshaushalt 2015. Budgetverhandlungen sind nicht einfach. Das kennen wir ja von uns. Im Gegensatz zu uns stritten die vier Parteien aber tagelang über Steuern, Ökoabgaben oder die Nutzung des Öl-Fonds. Am Ende stand fest: Es fehlt Geld. So ganz habe ich das Problem nicht begriffen, aber das Loch im Staatshaushalt scheint mit der Senkung der Vermögenssteuer zusammenzuhängen. Finanzministerin Siv Jensen (Fortschrittspartei) stand also vor der Frage: Woher bekommen wir die fehlenden Milliarden? Und dann muss irgendwer im Supermarkt eine Erleuchtung gehabt haben:
PLASTIKTÜTENSTEUER!
Wart Ihr schon einmal in einem norwegischen Supermarkt einkaufen? An der Kasse fragt die Kassiererin: „Vil du ha pose?“, ob Ihr also eine Tüte möchtet. Ein „Ja, bitte!“ belastet das Portemonnaie mit 1 norwegischen Krone. Deutsch wie ich bin, dachte ich immer, diese eine Krone soll mich davon abhalten die Tüte zu kaufen, ergo zu umweltbewussterem Handeln verleiten. Folge ich dieser Logik, müsste die Regierung mit ihrer Plastiktütensteuer wollen, dass ich keine Tüte kaufe.
Falsch.
Erinnert Euch: Die Regierung braucht Geld.
Statt also auf eine Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs zu hoffen, zählen die Politiker offensichtlich darauf, dass Norweger und Ausländer weiterhin kaufen. Jede Tüte soll 1,50 Krone kosten. Im Supermarkt, der ja bereits 1 Krone verlangt, steigt der Preis also auf 2,50 Kronen. Dem Staatssäckel soll das 1 Milliarde norwegische Kronen zusätzlich bringen.
1 Milliarde….das muss man sich mal vorstellen.
Seit die Tütenabgabe (Poseavgift) letzte Woche beschlossen wurde, schlagen die Wellen hoch. Kritiker werfen der Regierung vor, überhaupt eine neue Abgabe einzuführen und auf der anderen Seite die Vermögenssteuer so zu senken, dass die Reichsten den größten Vorteil haben. Supermarktketten schreien auf und fragen, wie diese Abgabe denn praktisch durchgeführt werden soll. Und die Renovasjonsetater, die kommunen Abteilungen für Abfallwirtschaft, befürchten umweltschädigende Folgen durch die Tütenabgabe.
Das musste ich dann mehrfach lesen, um es zu verstehen.
Die Abteilung für Abfallwirtschaft, die hier in Oslo seit knapp drei Jahren die Mülltrennung durchführt und damit, in meinen Augen, ökologische Ziele verfolgt, spricht sich gegen die Tütensteuer und damit, finde ich, gegen eine eventuelle Reduzierung von Plastiktüten aus. (Denn, seien wir ehrlich, es könnte auch sein, dass das mit der Milliarde nichts wird und die Leute einfach weniger Plastiktüten kaufen. Könnte sein.) Die Abfallbeauftragten fürchten folgendes Szenario: Die meisten Norweger benutzen die Plastiktüten aus dem Supermarkt als Mülltüten für ihren Restabfall (in Oslo) oder ihren Bioabfall (im Rest des Landes). Beraubt man die Menschen nun ihrer „Mülltüten“, werfen sie ihren Müll vielleicht tütenlos in die Mülltonne. Besonders bei Bioabfall keine gute Idee, so die einheitliche Abfallexpertenmeinung von Oslo bis Bergen. Die Tonnen würden anfangen zu stinken. Plastiktüten seien dagegen hygienischer. In Oslo bestehe auch die Gefahr, dass die Bevölkerung ihre Müllsortierbeutel, die es kostenlos im Supermarkt gibt, für den Restmüll benutze. Das wiederum wäre ein großes Problem für die automatisierte Mülltrennung und würde zusätzliche Kosten verursachen. Außerdem sei das Recycling gefährdet, da sich eventuell nicht recyclefähiges Material in den Recycleprozess mischen könnte.
Hm.
Ich bin kein Müll- oder Umweltexperte, aber wenn ich quasi zum Gebrauch von Plastiktüten aufgefordert werde, finde ich das seltsam. Schließlich wird man in vielen anderen Ländern davon abgehalten. Gerade letzte Woche haben sich beispielsweise die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten auf eine Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs bis 2025 geeinigt. Aus ökologischen Gründen. In Irland werden Plastiktüten bereits mit 22 Cents pro Stück besteuert (aus Ökogründen), in Italien sind Tüten aus nicht abbaubarem Material verboten. Der Trend geht also weg von der Tüte. In Norwegen hingegen scheint man auf das weiterhin tütenbejahende Verhalten der Bevölkerung zu hoffen.
Ab März 2015 soll die poseavgift offiziell erhoben werden und bis dahin müssen noch viele Fragen geklärt sein. Zum Beispiel, ob eine kleine Tüte aus der Apotheke genauso viel Abgabe kostet wie die große Tüte im Supermarkt? Wie wird die Abgabe in Geschäften erhoben, deren Tüten bisher kostenlos waren? Muss der Kunde an der Supermarktkasse pro Tüte 2,50 Kronen bezahlen oder wird die Abgabe auf Produkte umgelegt? Und die im Moment am meisten diskutierte Frage: Wessen Idee war die Tütensteuer überhaupt???
Es gibt eine norwegische Filmkomödie mit dem Titel Tante Pose, also Tante Tüte. Darin stört, laut Wikipedia, eine schlechtgelaunte Tante durch ihren Besuch das ansonsten harmonische Weihnachtsfest einer norwegischen Familie. Wer, fragen die norwegischen Medien, ist die Tante Pose 2014? Welche Tütentante ist schuld an der Tütensteuer?
Finanzministerin Siv Jensen will es nicht sein, eben sowenig wie Trine Skei Grande von der Venstre-Partei. Die behauptet aber, es sei die Idee von Jensens Fortschrittspartei gewesen, was ihr von der Seite den Vorwurf einbrachte, sie sei eine Lügnerin. Und so streiten sie sich hin und her und am Ende kann ich nur dem Kommentator von Dagens Næringslivs, Kjetil B Alstadheim, zustimmen, der meinte, es sei ein gutes Zeichen, dass am Ende von schwierigen Budgetverhandlungen der Streit über Plastiktüten ausbreche. Größere Probleme habe das Land anscheinend nicht.
Mich hat die ganze Tüten-Diskussion dazu gebracht, endlich meine bunten Stoffbeutel zu reaktivieren und Müllbeutel von der Rolle zu benutzen. Das ist zwar anscheinend nicht im Sinne der Regierung, aber hoffentlich besser für die Umwelt.
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Das war es schon für heute, meine lieben tütenlosen Leser. Danke an Christine, die mir das Tütenthema vorgeschlagen hat (ich werde sie deswegen aber nicht Tante Pose nennen! :)….). Es schneit in Oslo und die Adventszeit steht vor der Tür. Meine Lieblingszeit! Ich wünsche uns allen Tannenduft, leckere Kekse, Schneeballschlachten, heiße Schokolade, Kerzenschein und vor allem genug Ruhe, die Zeit zu genießen. Ehrlich! Fahrt Euren Weihnachtsstress runter, legt die Weihnachtsliste beiseite, schnappt Euch Partner, Kinder, Eltern, andere Familienmitglieder, Freunde oder Haustiere und habt einfach Spaß zusammen! Allen in Norwegen empfehle ich für dieses Wochenende einen Blick zu NRK 2: Minutt for Minutt, das norwegische Slow-TV-Format ist diesmal musikalisch. 200 norwegische Chöre singen das neue norwegische Gesangsbuch – alle 899 Lieder in 60 Stunden. Außerdem startet am 1. Dezember der Aufmunternde Adventskalender und ich freue mich zu lesen, ob und wie Ihr Euch daran beteiligt!
Ha det bra,
(meine Lieblings“tüte“ samt Lieblingsinhalt)
Ulrike