Ich habe Muskelkater.
Im Mund.
Ich frage mich, ob das anatomisch überhaupt möglich sein kann, aber dann beiße ich in meine Mittagsstulle und stelle fest: Japp, das geht.
Für vier Tage musste sich mein Gesprächsorgan mit ihm völlig fremden Tönen beschäftigen und dauernd wiederholen: „Ǻ, Ǿ, Ǽ… Ǻ, Ǿ, Ǽ… Ǻ, Ǿ, Ǽ“. Wichtig dabei: Beim Ǻ liegt die Zunge unten in der Mitte, und der Mund ist rund geöffnet beim Sprechen. Das Ǿ braucht die Zunge im mittleren, hinteren Bereich mit gerundetem Mund, und das Ǽ hat die Zunge vorne mittig und den Mund ungerundet.
Das liest sich wie ein norwegischer Porno. Vielleicht sollten die Kinder jetzt besser den Raum verlassen.
Velkommen, meine lieben, in 7er-Gruppen snakkenden Leser!
Ich lerne Norwegisch!!
„Na das wird ja langsam auch Zeit!“, mögt Ihr denken, und natürlich stimmt meine Aussage so nicht, denn seit drei Monaten lernen wir die Sprache so nebenbei im täglichen Leben. Seit Montag ist aber ein neuer Faktor dazugekommen: Ich lerne unter Anleitung. Jawohl!
Für drei Wochen liegt mein morgendliches Ziel in der Torggate im Osloer Stadtzentrum. Hier, neben einem lebensrettenden Kaffeeladen, befindet sich die Folkeuniversitet, die Volkshochschule, die mir neben sprachlichem Unterricht auch Frühsport bietet: Das Klassenzimmer liegt im 4. Stock und die Fahrt mit dem Fahrstuhl dauert derartig lang, dass ich immer zu Fuß gehe.
Der erste Morgen begann ungewöhnlich: Meine Lehrerin hat mir Montag beim ersten Eintreten einen derartigen Schreck versetzt, dass ich weder in der Lage war Deutsch, geschweige denn auch nur ein Wort Norwegisch zu sprechen. Sissel sieht haargenau aus wie meine Mathematiklehrerin in der 7. Klasse. Haargenau!!!! Nun habe ich traumatische Erinnerungen an Mathematik UND besagte Lehrerin und das mag meine Schockreaktion erklären. Nach einigen Minuten war aber klar: Zahlen werden hier unter Garantie nicht unterrichtet und selbst wenn, wäre es wie in der 7. Klasse: Ich verstände kein Wort.
Soweit sind wir nämlich noch nicht! Also in Norwegisch. Wir können erst die Grundrechenarten und die habe ich auch in der 7. Klasse beherrscht.
Nach diesem ersten Schreck begann der Kurs mit einer lustigen Vorstellungsrunde und schnell war klar: Das hier ist kein Norwegischkurs – wir sind die Außenstelle der Vereinten Nationen! Frankreich, Südafrika, Thailand, Polen, China, Kanada, Eritrea, Phillippinen, Chile und Deutschland sitzen seit Montag in einem Raum und sprechen gemeinsam: „Ǻ, Ǿ, Ǽ… Ǻ, Ǿ, Ǽ… Ǻ, Ǿ, Ǽ“. So interessant eine derartige Konstellation zweifelsfrei ist, birgt sie doch ein Problem: Wir sprechen kaum miteinander außerhalb des Kurses. Ein Sprachkurs, in dem die Teilnehmer sich anschweigen, hat eine gewisse Ironie, aber einen einfachen Grund: Wir haben keine gemeinsame Sprache. (Ok, wir können uns schon auf Norwegisch ganz prima übers Wetter unterhalten, aber mal ehrlich….) Einige Teilnehmer sprechen Englisch, aber eben nicht alle.
Mein Sitznachbar Dawid aus Polen und ich verstehen uns glänzend, wenn wir gemeinsam Norwegisch reden. Aber sobald unser beschränkter Wortschatz aufgebraucht ist, herrscht Konfusion. Dawids Englisch ist rudimentär und mein Polnisch ist…nicht vorhanden. Mein linker Nachbar Pablo kommt aus Chile und wir radebrechen in Norwegisch, Englisch, Spanisch miteinander. Es hat nur zwei Tage gedauert, bis ich verstanden habe, dass er nicht haareschmeißender Rockmusiker, sondern lithiumsuchender Öko- Ingenieur ist. Musik sei doch nur sein Hobby! Ach so. Klar.
Für Spaß ist also gesorgt.
Der Kurs ist ein Intensivkurs mit 4 Stunden pro Tag von Montag bis Donnerstag. Freitag ist offiziell frei, aber die Hausaufgaben sind enorm und nehmen viel Zeit in Anspruch.
MITLEID!!!!
Das ist nämlich ganz schön anstrengend!!!!
90 Minuten konzentriert auf dem Hosenboden sitzen und mit Grammatik zugeschmissen zu werden ist bei mir schon etwas her, und damals war es wenigstens in meiner Muttersprache. Allerdings spricht Sissel sehr klar und ich verstehe vieles. Es ist schon von Vorteil Deutsch zu sprechen, denn, so drückte es ein Bekannter hier in Oslo aus: „Norwegisch ist nicht mehr als ein plattdeutscher Dialekt.“ Das stimmt zwar nicht ganz, aber es ist hilfreich.
Ich gebe Euch gern Beispiele aus der klimatischen Lektion, die uns in dieser Woche hauptsächlich beschäftigt hat. Also aufgepasst jetzt!
I sommeren det er varmt.
I vinteren det er kaldt.
Vinden blåser.
Na? Na? Na???
Ja, genau: Im Sommer ist es warm. Im Winter ist es kalt. Der Wind bläst/weht.
So einfach das Lesen der Sprache auch ist, die Betonung ist eine ganz andere Sache. Besser so:
Eine GANZ andere Sache.
Ein paar Beispiele: Mal sprechen Norweger das –t am Ende des Wortes, mal nicht. Die meisten „o“ werden wie „u“ ausgesprochen, aber eben nicht alle. „u“ ist manchmal „ü“ und manchmal – nicht. Liest man „er“, spricht man „ar“ und „og“ heißt „o“.
Es ist verwirrend. Ein kleiner, harmloser Satz liest sich beispielsweise so:
Det er mars, og det regner. (Es ist März, und es regnet.)
Klingen würde er so:
„Dej ahr mahsch, o dej rjeiner.“
KREISCH!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Das lern ich nie, das werde ich immer verwechseln, das ist fies und ungerecht und ich habe gestern vor lauter Verwirrung bei der Post gefragt, ob der freundliche Angestellte als Identifikation zur Paketabholung meinen „Pissport“ sehen will. „Vil du se min pissport?“ – Nein, wollte er nicht. Verständlich.
Ihr seht also, meine lieben sieben Leser, es gibt viel zu tun. Bei allem Grammatikhorror und Betonungsproblemen schafft der Kurs aber etwas ganz Entscheidendes: Er macht Mut, die neue Sprache zu benutzen. Ja, okay, wir radebrechen uns noch durch die Gegend, aber wir machen immerhin den Mund auf und das ist doch klasse. Zwei Wochen liegen noch vor mir und die Anmeldung für den darauffolgenden Kurs schicke ich nächste Woche los. Norwegische Bücher stapeln sich im Wohnzimmer und gestern habe ich das erste Kapitel von „Folk og røvere i Kardemomme by“ gelesen.
Toll, ne?
(Ich lasse jetzt einen Moment verstreichen, in dem Ihr beeindruckt sein könnt….bevor ich zugebe….“Die Räuber von Kardamomme“ ist ein bekanntes, norwegisches Kinderbuch für Erstleser *grins*)
Es snakkert also um mich rum und in mir drin. Spaß macht es und gibt mir das Gefühl, jeden Tag ein bisschen mehr anzukommen in diesem Land. Pissport hin oder her. Auch das Wissen, dass es in jeder Ecke Norwegens einen anderen Dialekt gibt, dass manche Nynorsk sprechen und andere Bokmål und ich mich in Nordnorwegen wahrscheinlich nie verständigen werden kann, schreckt mich nicht ab. Bleibe ich halt in Oslo.
Das war es schon für heute, meine lieben Leser! Toll, dass Ihr wieder da wart! Nächste Woche erzähle ich mehr über die schon erwähnten norwegischen Sprachen Nynorsk und Bokmål und deren Entstehung und berichte von weiteren spannenden Erlebnissen im Sprachkurs. Vielleicht finde ich ja auch bis Freitag heraus, welchen Beruf Dawid hat. Bis jetzt habe ich verstanden, dass er in einem Laden arbeitet, in dem aber nichts verkauft wird. Spannend!
Ich wünsche Euch eine tolle Woche, macht immer den Mund auf, habt Mut und traut Euch etwas Neues auszuprobieren!
Ha det bra,
Ulrike