Eine Seefahrt, die ist lustig ODER In Kiel kann man toll shoppen!

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Meine letzte Butterfahrt ist ziemlich lange her. 1975, schätze ich mal. Der Einzige, der mich heute noch daran erinnert, ist Kuddel, mein fast kaputt geliebter Plüschhund, ein Geschenk meines Opas auf just dieser Fahrt. Für Deutsche gibt es diese klassischen Butterfahrten dank EU ja kaum noch. Für Norweger schon!

Hallo, meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen. Heute geht es also auf’s Schiff. Vitamin B hat uns eine Gratis-Fährfahrt mit der Color Line von Oslo nach Kiel (und zurück) beschafft – nach der „Harry Tur“ Richtung Schweden die zweite Möglichkeit für Norweger, billig im Ausland einzukaufen. Es dauert allerdings. Drei Tage müssen für den transostseealen Trip eingeplant werden. Aber es lohnt sich. Einfach mal 20 Stunden auf einem Schiff gemütlich über die Ostsee zu schippern ist erholsam.

Finde ich.

Martin kommt also eines Tages mit der überraschenden Nachricht nach Hause, wir könnten quasi für umsonst nach Kiel übersetzen. Umsonst ist immer gut und Einkaufen in Kiel sowieso, gut, wir hatten nur vier Stunden Aufenthalt, aber das Shoppingcenter liegt fast direkt am Kai, da reicht die Zeit.

„Warum umsonst?“, will ich wissen.

„Die Fähre ist wohl nicht gut gebucht an dem Wochenende“, vermutet Martin.

Dementsprechend überrascht sind wir am Tag der Abreise, als sich die Menschenmassen am Fährterminal drängeln. So viele Reisende hatte ich hier jedenfalls noch nie gesehen. Aber schnurz, wir haben ja ein Ticket, eine Kabine, mir doch egal, wer da noch alles mitfährt.

Wir holen an einem der kontaktarmen, aber wenig frequentierten Automaten unsere Bordkarte. Plötzlich taucht neben uns mit einem großen Hallo Pastor Friedbert Baur auf, und erst nach einem kurzen Geplauder blicken wir auf unsere Karten.

Kabine 5816.

5 Betten.

FÜNF???

Ich gerate in leichte Panik. Wenn es, neben Clowns, etwas gibt, das ich so richtig hasse, dann ist es mein Zimmer mit fremden Menschen zu teilen. Auch mit bekannten Menschen mag ich es nicht wirklich, mal abgesehen vom innersten Familienkreis.

Fünf Betten.

„Die werden doch nicht fremde Leute in eine Kabine stecken, oder?“

„Nein!“

„Nein, genau…absurde Vermutung.“

„Ja, total.“

Kopfnicken. Schweigen. Mehr Schweigen. Gedanken schwirren durch die Köpfe.

„Ich frag mal nach.“ – „Gute Idee!“

Nein, lächelt die blonde Informationsgeberin, den Grund dafür wisse sie leider auch nicht. Vielleicht seien wir ja einfach als Paar in eine 5er-Kabine gebucht, weil die Fähre ausgebucht ist.

Genau, gute Idee.

Ich blicke mich um im vollbesetzten Wartebereich. Niemand von denen will ich als Mitbewohner haben. Ich hasse fremde Leute in meinem Zimmer fast genauso sehr wie …

„Tröööööööööt!“

….Clowns.

Eine rote Plastiknase schiebt sich in mein Gesichtsfeld, direkt gefolgt von einem kleinen, stämmigen Mann in buntgestreiften Hosen.

Ich beginne zu schwitzen.

Martin beginnt zu grinsen.

Mein Verhältnis zu Clowns und Pantomimen ist, sagen wir, schwierig. Kurz gesagt: Ich will sie verprügeln. Keine Ahnung warum. Ist einfach so. Nonverbale Darstellungskünstler leben gefährlich in meiner Nähe. Die Wut steigt mir also langsam in den Kopf, während die rote Nase mit gestreiftem Anhang immer tiefer in meine Privatsphäre dringt. Ich höre Martin zischen: „Reiß dich zusammen!“, hoffe, dass er den Clown meint, aber nein, er guckt mich warnend an, also lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und ergebe mich.

Ich bin Christin, Leiden ist mein Los.

Hätte ich mich mal nicht zurück gelehnt. In dem Moment, als sich meine Jacke über dem mittlerweile gut sichtbar gewölbten Babybauch öffnet, jauchzt die rote Nase entzückt auf. Sie imitiert den Begriff „schwanger“ und holt einen Ballon aus der Tasche. Hoffentlich führt verkrampftes Dauerlächeln nicht zu einer Frühgeburt, denke ich und wünsche mich weit weg. Nach einer gefühlten Ewigkeit präsentiert die Nase mir ihr Werk und ich muss grinsen. Mist, wollte ich gar nicht. Ich nehme den schwangeren Luftballonhund, die Nase verabschiedet sich und schickt mir einen leicht triumphierenden Blick zu, bevor sie sich auf die norwegischen Rentnerinnen vor mir stürzt. Martin sagt, er sei stolz auf mich. Ich bade in Gewaltfantasien.

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Aber nicht lange, denn kurz danach öffnen sich die Türen und die Massen drängen aufs Schiff. Gespannt erreichen wir die fünfte Etage und öffnen die Tür zu unserer Kabine. Oh, wow. Viel größer und….MEERBLICK!!!!!!!!!!!!!!!!!Ein Bullauge lässt Tageslicht in die Kabine und erlaubt einen wunderbaren Ausblick auf die Halbinsel Bygdøy und später das Meer. Wow!!! Ein kurzer Anruf an der Rezeption bestätigt , dass auch wirklich nur wir die 5 Betten benutzen werden und entspannt packen wir aus. Ich belege das Bett unterm Fenster. Perfekt!

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Vom Sonnendeck aus beobachten wir kurz nach 14 Uhr die Ausfahrt der Color Magic auf den Fjord und winken Oslo zum Abschied kurz zu. Die nächsten 20 Stunden verbringen wir auf dem Wasser. Womit? Bummeln, Kaffee trinken, Einkaufen, Essen, Show gucken. Ist die Fährfahrt auch umsonst, genug Geld kann man immer lassen auf dem Schiff. Da wir Fleisch und Fisch wieder auf den Speiseplan genommen haben für gewisse Zeit, lohnt sich das Grand Buffet für uns. Um 17 Uhr (richtig norwegisch) stürmen wir also hungrig den Speisesaal mit Meerblick und bleiben verblüfft vor dem Buffet stehen. Wahnsinn! Hufeisenförmig angeordnete Essensauslagen locken mit frischem Fisch, Salaten, warmen Gerichten, Brot und Käse. An der hinteren Wand zieht sich einmal durch den Raum das Dessert-Büffet. Bin ich im Himmel?????

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Wir essen und essen und essen und essen.

Und essen und essen und essen und essen.

39,90 Euro kostet das Schlaraffenland pro Person und das haben wir doppelt und dreifach weggegessen.

Wesentlicher schwerer und glücklicher verlassen wir nach knapp anderthalb Stunden das Restaurant in der sechsten Etage. Wir sind bereit für Entertainment! Die bordeigene Musicalcrew verspricht ab 19 Uhr einen Musicalabend. Wir bekommen in dem überfüllten Saal gerade noch zwei Plätze, bestellen Cocktails und warten ab.

Immerhin konnten sie singen, denke ich, als wir den Saal nach einer Stunde wieder verlassen. Mehr gibt es nicht zu sagen. Oh doch: Die Bühne war technisch echt super!

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Der Wellengang hat stark zugenommen und wir hangeln uns Richtung Kabine. Durchs Bullauge sind die weißen, wütenden Wellen gut zu erkennen. Ich schließe die Vorhänge und hoffe auf eine ruhige Nacht.

Am nächsten Morgen wecken uns unsere Handys mit der Mitteilung, wir wären in Deutschland. Super!!! Schnell die vier Stunden strategisch geplant im netten Cafe auf dem Promenadendeck: Jeder drei Läden, hinterher Mittag essen, um 13.30 zurück Richtung Schiff. Passt. Punkt 10 Uhr öffnen sich die Schranken und wir betreten deutschen Boden. Kiel begrüßt uns mit grauwolkiger Gleichgültigkeit. Schnell über die Brücke, am Bahnhof vorbei und ab in den Sophienhof, die norwegerfreundliche Einkaufspassage am Hafen. Wie immer in Deutschland jubele ich über die Preise. Ab in den Buchladen. Hallo Hugendubel, schön dich zu sehen! Ich stromere durch die Regale. Ganz entspannt. Ein bisschen blättern hier, neugierig sein da und schon ist – schwupps – eine Stunde herum. Weiter geht es. Ich will „nur mal so, ist ja noch viel zu lange hin“ nach Babykleidung gucken.  Eine Stunde später verlasse ich C&A mit einer kompletten Basiserstausstattung. Für das Geld hätte ich in Oslo vielleicht die Hälfte an süßen Stramplern, Jacken, Bodies etc. bekommen. Wenn überhaupt.

Ich bin happy.

Und hungrig.

Martin auch. Im asiatischen Schnellrestaurant gibt es Gemüsetofunudeln und nach knapp drei Stunden ist unser Einkaufstrip beendet und es geht zurück auf die Fähre. Die Rückreise ist entspannter als die Hinreise, da die Ostsee sich merklich beruhigt hat. Wir gammeln ein bisschen in der Kabine, freuen uns an deutschem Fernsehen und dem Blick aus dem Fenster. Später bummeln wir noch durch die Duty-free-Läden an Bord, auch das ein Muss! Ganz per Zufall beschließen wir gerade in dem Moment einen Spaziergang an Deck, als sich die Color Magic der gigantischen Storebeltbrücke nähert. Wir sehen sie zum ersten Mal und sind beeindruckt.

Oresundbrücke

Der Rest des Tages verläuft, bis auf eine kurze Begegnung mit dem Clown, stressfrei und wir fallen erschöpft in die Betten.

Da beginnt es zu hämmern.

Um 23.45 Uhr.

Direkt unter mir. Nein, neben mir. Da ich mir sicher bin, dass rechts neben mir nur noch die Ostsee wartet, bin ich irritiert.

Hämmer, hämmer.

„Irgendwelche Bauarbeiten…“, murmelt der Gatte müde.

„Um DIE Zeit?“ entgegne ich misstrauisch. Unter mir ist das Autodeck. Neben mir sind lauter Kabinen.

„Was, wenn sich wer eingesperrt hat und nicht raus kann?“

Ich sehe geschmuggelte Kinder, die verzweifelt an Rohre klopfen, um gerettet zu werden.

„Hier gibt es keine freiliegenden Rohre“, gähnt Martin, nun aber schon etwas wacher. Das Hämmern nimmt zu.

Wir gehen auf den Flur.

Hämmer, Hämmer.

Mittlerweile bin ich sicher, dass etwas passiert sein muss, die werden schließlich nicht mitten in der Nacht irgendwo umbauen, na also, sage ich doch, ist doch logisch, also ist es ein Notfall und wir müssen was tun, hinterher finden sie morgen nur noch die verdursteten Leichen verschleppter Jungfrauen und dann stehen wir da und was dann?

„Rezeption, was kann ich für Sie tun?“

„Guten Abend, Ulrike Niemann, Kabine 5816, hier ist so ein lautes Hämmern seit einiger Zeit und ich befürchte….“

„Ja, Frau Niemann, entschuldigen Sie das bitte, die Handwerker mussten dringend etwas reparieren im Restaurant auf Deck 6, die sollten aber gleich fertig sein.“

„Ah. – Dringende Bauarbeiten. Ja, natürlich, sowas hatte ich mir schon gedacht.“ (Ich höre Martin förmlich grinsen und ziehe eine Grimasse.) – „Gute Nacht.“

Na und? WÄREN es geschmuggelte, vietnamesische Zwangsarbeiter gewesen, hätten sie durch mich gerettet werden können. Jawohl. Bauarbeiten, pfff.

Viel zu schnell ist die Nacht vorbei und Norwegen begrüßt uns am nächsten Morgen mit strahlendem Sonnenschein. Vorbei an graubuckeligen Fjordinseln schippern wir durch den Oslofjord und begrüßen unsere momentane Heimat nach zwei Tagen Abwesenheit.

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Uns hat es Spaß gemacht und lieber früher als später würde ich wieder aufs Schiff springen.

Nur den Clown, den können sie in Kiel lassen.

Das war es für heute, meine lieben seefesten Leser, steigt doch auch auf die Fähre und besucht uns in Oslo. Es lohnt sich! Ich wünsche Euch allen eine tolle Woche mit viel Frühling, guter Laune und immer was zum Lachen! Bis nächsten Freitag,

ha det bra,

2014-03-17 00.13.30

Ulrike