Ein erstes Treffen mit Edvard Munch ODER Ich hasse Alpträume!

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Irgendwie schlafe ich in den letzten Nächten schlecht. Entweder greifen mich schwarze Riesenhunde an, ich verlaufe mich auf schier endlosen Hotelfluren oder ich stehe mit knurrendem Magen vor einem leeren Kühlschrank. (Das ist gruuuselig!!!!) Nun könnte man das analysieren.

Ja, könnte man.

Man könnte sich aber auch so richtig darin suhlen…

..und das Munch-Museum und die alptraumhafte Welt von Norwegens berühmtestem Maler besuchen. Frei nach dem Motto: Wenn schon, denn schon.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass es sich um meinen ersten Besuch handelt. So sehr ich Kunst schätze – Edvard Munch reißt mich nicht vom Hocker. Na gut, aber heute Morgen war eh schon alles egal. (Ich bin mir nicht sicher, ob das der passende Ansporn war, aber ich hatte keinen anderen.)

Edvard Munch gehört neben Ibsen und Grieg zu den Fundamenten norwegischen Kulturstolzes. Anscheinend lässt sich gute Laune und ernstzunehmende Kultur schlecht vereinen, denn weder bei Munch noch bei Ibsen gibt es viel zu lachen. Das scheint aber niemanden groß zu stören und meine Meinung zählt irgendwie nicht. Das ist nicht richtig! Kunst darf unterhalten, jawohl, das muss sie sogar! Finde ich. Aber zurück zum Thema: Munch lebte von 1863 bis 1944, sein Leben und seine Kunst geprägt vom frühen Tod seiner Mutter und Schwester, psychischen Problemen und Alkoholmissbrauch. Nach abgebrochenem Ingenieurstudium widmete er sich mit aller Ernsthaftigkeit der Malerei. Seine Bilder wurden stark kritisiert, aufkommende gesundheitliche Probleme vereinfachten das Leben nicht. Doch Munch gibt nicht auf. Sein Ansehen stieg und heute wird er als Vorbereiter des Expressionismus angesehen und gefeiert.

Einen der wichtigsten Maler aller Zeiten zwei Jahre lang zu ignorieren ist frevelhaft und so steige ich um halb elf in die T-Bane Richtung Tøyen, im Osten der Stadt. Vor dem betongrauen Museum blühen die Kirschbäume. Wie schön.

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Eine kunstbegierige Gruppe sammelt sich an den noch verschlossenen Eingangstüren und eine besonders eifrige Besucherin tritt sogar probeweise mit dem Stiefel gegen die Glastür. Was an deren geschlossenem Zustand nichts ändert. Ich betrachte die rosafarbenen Kirschbäume und habe jetzt schon keine Lust auf depressive Malereien.

Ich bin aber auch schlecht drauf heute!

Nicht nur das Baby sondern auch ich gebe mir einen innerlichen Ruck. In solchen Fällen hilft nur ein Deal: Hinein mit offenem Geist und hinterher ein Stück Kuchen zur Belohnung.

Sofort geht’s mir besser.

Die norwegischen Sicherheitsbeamten haben ein Einsehen mit der kulturbegeisterten Menschenansammlung – und mir. Die Türen öffnen sich. Doch anstatt dass wir rein dürfen, tritt erst mal ein Sicherheitsbeamter heraus. Was folgt ist eine fünfminütige Einweisung in „Wie man sich in einem Museum verhält“, mit dem ausdrücklichen Verbot, den Schrei zu fotografieren und dem Hinweis, dass wir alle durch einen Sicherheitscheck müssten. Und das hat seine Vorgeschichte: Am 22. August 2004 stürmten nämlich drei bewaffnete Männer das Museum, bedrohten Wächter und Besucher, rissen die ungesicherten Gemälde Der Schrei und Madonna von der Wand und flohen. Das dieser Diebstahl etwas zu einfach ging, sahen dann auch die Verantwortlichen des Museums ein und installierten in den kommenden 12 Monaten ein Fort Knox –fähiges Sicherheitssystem.

Besser spät als nie.

Die gestohlenen Gemälde wurden übrigens zwei Jahre später von der norwegischen Polizei sichergestellt und drei Norweger im Alter von 34 bis 37 Jahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

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Dank dieser drei Ganoven entledige ich mich nun meines Gürtels und verstaue Jacke und Handtasche in hellen Plastikboxen, die in der Tiefe eines Röntgenapparats verschwinden. Ich werde als ungefährlich eingestuft und darf durch zwei schleusenartige Türen endlich ins Innere des Kulturtempels. Dort begebe ich mich auf die Suche nach einer Bank oder ähnlichen Sitzgelegenheit. Erstens will das mitgelieferte Programmheft studiert werden und außerdem sitze ich am Anfang gern in Museen und lasse den Raum auf mich wirken.

Nicht hier. Es gibt keine Sitzmöglichkeit.

Ich streife durch die Räume und entdecke ganz am Ende, kurz vor dem Ausgang, einen riesigen Schreibtisch mit Hockern und Büchern.

Ahhh, besser.

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Die momentane Ausstellung, durch die ich so ignorant gegangen bin, heißt Gjennom naturen (Durch die Natur) und ist eine Zusammenarbeit des Museums mit dem Naturgeschichtlichen Museum Oslo, das sich gleich gegenüber befindet. Munchs Gemälde, Zeichnungen und Lithografien werden in sechs Räumen verbunden mit Disziplinen wie Geologie, Paläontologie, Kosmologie, Zoologie und Botanik. Dafür hat das Naturwissenschaftliche Museum, das dieses Jahr 200jähriges Bestehen feiert, verschiedenste Exponate zur Verfügung gestellt. Ausgestopfte Hirsche und Bären, Fossilien und Zeichnungen treffen auf Munchs Kunst.

Ich sitze gemütlich an dem riesigen Schreibtisch und bin…

…gelangweilt.

ICH WEISS!!!!!

Shame on me!

Eine Kulturwissenschaftlerin mit Kunst als Nebenfach sitzt gelangweilt im Munch-Museum.

Es ist aber so: Ich kann Ausstellungen nicht leiden, die so kopf- und textlastig sind. So interessant ich das Konzept auch finde, es lockt mich nicht weg von meinem Hocker. Stattdessen male ich Blumen in mein Notizbuch und beobachte andere Besucher. Manche scheinen die Ausstellung auch nicht fesselnd zu finden und verlassen die Räume nach kurzer Zeit Richtung Ausgang. Ich blättere in einem der ausgelegten Bücher mit dem Titel The Art Instinct, in dem Kunst und Evolution in Verbindung gesetzt werden. Spannend. Doch plötzlich ertönt eine Stimme in meinem Kopf.

M.G. (mein Gewissen): „Halloooo!? Du bist hier wegen Edvard Munch!“

Ich: „Hmhj.“ (blätter, blätter)

M.G. schneidend freundlich: „Und – falls ich fragen darf – wie viele seiner Gemälde oder Zeichnungen hast du bereits gesehen?“

Ich (blicke mich im Raum um): „Das da. Blumenvase. Hübsch.“

M.G. gezwungen geduldig: „Meinst du nicht, dass du vielleicht noch ein paar mehr ansehen solltest?“

Ich (meinen Bauch vorschiebend): „Och, die sind ja alle so weit weg. Das ist ja anstrengend.“

M.G. kurz die Fassung verlierend: „Wirst du wohl dein Baby nicht als Ausrede nutzen??? – Jetzt reicht es mir aber. Hoch da vom Stuhl und hin zum Schrei. Und mit ein bisschen Begeisterung, wenn ich bitten darf! Zack, zack!“

Kurze Zeit später stehe ich in einem dunklen Raum und gucke auf Munchs berühmtestes Werk. Die Angst des modernen Menschen wollte der Norweger mit seinem Gemälde angeblich ausdrücken. Mich deprimiert das Motiv einfach nur, glücklicherweise habe ich neben mir einen vierjährigen Jungen, der auf seine ganze eigene Art mit dem Kunstgenuss umgeht: Nach kurzer Betrachtung lässt er sich, die gleiche Pose einnehmend, zu einem wändeerschütternden Schrei hinreißen, der mich entzückt und die Wächter in Alarm versetzt. Ich könnte das Kind knutschen. Beschwingt und gutgelaunt arbeite ich mich durch den Rest der Ausstellung und  lese beispielsweise über Munchs Verhältnis zum Leben:

„Up from my rotting corpse flowers will rise and blossom, and I will be in them – immortal.“

Ein kurzer Stop vor dem Gemälde Madonna, das Bildnis einer halbnackten Frau, das gerade einer Klasse von 13jährigen unter kunsthistorischem Aspekt erklärt wird.

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Die vernebelten Blicke der pubertierenden Jungen lassen mich am pädagogischen Effekt zweifeln. Schon wieder was zum Schmunzeln, prima. Ich umrunde die Herde ausgestopfter Tiere, betrachte die sommerlichen Bilder, die Munch in Ekely, seinem letzten Wohnort, gemalt hat …

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…– und bin am Ende der Ausstellung. Mein Gewissen gibt sich murrend geschlagen. 40 Minuten, immerhin.

Der Museumsshop bietet keine Verlockungen und um kurz nach 12 stehe ich wieder an den blühenden Kirschbäumen.

Das ist wohl, ohne Übertreibung, einer der schlimmsten Museumsberichte, der jemals verfasst worden ist. Vielleicht waren meine Alpträume gepaart mit Vorurteilen nicht die beste Kombination für einen erfolgreichen Museumsbesuch. Lasst Euch aber nicht von mir abhalten: Ist man in Oslo MUSS man das Munch-Museum einmal besucht haben. Ist einfach so. Ich kann nun einen Haken auf meiner To-do-Liste machen und das ist ja auch irgendwie befriedigend.

Hoffentlich träume ich dann heute Nacht nicht von der schreienden Munch-Figur!

Das würde ja gerade noch fehlen.

Das war es für heute, meine lieben kunstvollen Leser. Nächste Woche beginnt mein Mama-Yoga-Kurs und ich verspreche unterhaltsame Berichterstattung. Euch allen wünsche ich nur schöne Träume, dass Ihr Euch manchmal selber in den Hintern treten könnt und eine schöne Woche. Das Kubb-Spiel der letzten Woche geht an meine Freundin Barbro, die mit dem Foto eines plüschigen Picknicks den Preis mehr als verdient hat! Viel Spaß!!!

Ha det bra,

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(Herr Munch und ich… er scheint von mir so begeistert wie ich von ihm…)

Ulrike