Bolle, Flatbrød & Co. ODER Ein Abschiedsblog für Baker Hansen

Meine Lieblingsbäckerei schließt für zwei Jahre. Zwei Jahre!!!! Ich habe keine Ahnung, welche Art von Umbauten Baker Hansen im Bogstadveien 54 geplant hat, aber sie scheinen massiv zu sein. Nicht, dass es uns hier in der Nähe an Bäckereien und Cafés mangeln würde – sechs in unmittelbarer Nähe nenne ich gute Versorgung – aber bei dieser Filiale von Baker Hansen habe ich immer besonders gut gesessen und geschlemmt. Hier habe ich meine erste bolle gegessen und mein erstes skolebrød. Bevor ich jetzt noch anfange „Memory“ zu singen, wähle ich einfach ein passendes Blogthema: Norwegische Backwaren!

Hallo, meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen! Skolebrød? Bolle? „Ich kenne nur: Bolle reiste jüngst zu Pfingsten, nach Pankow war sein Ziel!“, sang mir ein deutscher Freund einmal vor, als ich von den norwegischen Backheiligtümern erzählte.

@http://delideluca.no/

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Boller finden sich an jeder Straßenecke und sie besitzen zwei ungewöhnliche Eigenschaften:

– Sie sind (oft) günstig.

– Sie werden mit Kardamom gebacken.

Das Ingwergewächs Kardamom und ich haben eine schwierige Beziehung, die in einem Wort gipfelt: Igittigittigitt. Und ich weiß auch nicht, was es in der norwegischen Teigware soll, die dadurch schmeckt wie ein deutsches Milchbrötchen auf Asien-Urlaub. Aber jeder, der in Norwegen ist, MUSS einmal bolle gegessen haben. Es gibt sie in verschiedenen Varianten: Mit oder ohne Rosinen, manchmal mit Vanillepuddingfüllung und Kokosraspeln (dann ist es skolebrød) mit Schokolade, Karamell und die besten boller in Oslo gibt es, laut Aftenposten, nein, nicht bei Baker Hansen sondern im Kaffehuset Steam in der Østbanehalle am Osloer Bahnhof.

Bei mir stehen boller zwar nicht regelmäßig auf dem Speiseplan, aber hin oder wieder finden sie den Weg in meine Küche – besonders, wenn meine Mutter da ist. Sie ist den blanken Hefebrötchen verfallen und reist nie ohne eine große Tüte boller ab. Ich sollte mir stattdessen beim nächsten Besuch echte, deutsche Brötchen mitbringen lassen – denn die sind hier in Norwegen nicht zu finden.

Ich habe aber noch zwei andere norwegische Backwaren zu bieten: Flatbrød und lefse. Lässt sich das erste Wort noch relativ problemlos mit „flachem Brot“ übersetzen, wird es beim zweiten Begriff schon schwieriger. Lefse?

Wie in Hundelippe?

Japp. Genau. Nur in Teigform.

Und mit Kardamom.

Neeeeeeeein, natürlich nicht.

Lefse sind traditionelle, norwegische Fladen aus Kartoffelmehl. Ähnlich wie ihre französischen Cousins crêpes und galettes können sie mit so ziemlich allem bestrichen werden, was das Herz begehrt. Im Supermarkt kann man fertig gebutterte, mit Zimt gefüllte und dann origamiartig gefaltete lefsen bekommen, die köstlich zum Frühstück schmecken.

In einem der alten Bauernhäuser des Norske Folkemuseum gibt es im Sommer lefse-Backvorführungen, bei denen in weiße Schürzen und altertümliche Kleider gewickelte Darstellerinnen vor Publikum backen. Da bekommt man sofort Lust, selber zu backen. Leider fehlt mir sowohl ein altes Bauernhaus, als auch Schürze und riesiger Steinofen – also kaufe ich meine lefsen weiterhin im Supermarkt. Die Euch schon bekannten lomper, ohne die hier kaum ein Würstchen verspeist wird, sind übrigens sehr ähnlich.

Flatbrød hat eine lange Tradition in Skandinavien – angeblich haben es bereits die Wikinger auf ihren langen Reisen gegessen. Heute wird es in ländlichen Gegenden noch selber gebacken und über die richtigen Zutaten scheint es verschiedene Meinungen zu geben: Die einen benutzen Kartoffeln im Teig, die anderen finden das absurd und nehmen selber nur Mehl, Salz und Wasser. Um das flatbrød auch flat zu bekommen, muss der Teig gerollt werden und gerollt und gerollt und gerollt und gerollt und gerollt und gerollt und gerollt und…..

Das getrocknete Brot passt gut zu Suppen, Fisch oder rømmegrøt!  Es eignet sich nicht zum Belegen, mir sind die hauchdünnen Scheiben auf jeden Fall immer durchbrochen, sobald ich sie mit Butter beschmieren wollte. Wahrscheinlich ein typischer Anfängerfehler!

Über bløtkake und kransekake habe ich hier im Blog schon geschrieben, fehlen noch fyrstekake und kvæfjordkake, besser bekannt als „Verdens beste“, also weltbester Kuchen. Ich habe beide noch nicht probiert, aber sie sehen köööstlich aus! Guckt selbst:

Verdens beste

Verdens beste

vgc.no

Fyrstekake @vgc.no

Nächste Woche ist mein Geburtstag, vielleicht sollte ich mir selber einen Kuchen backen und darüber berichten? Verdens beste wird mit Meringue gemacht und da ich Pavlovas liebe, wäre das vielleicht der ideale Kuchen für mich! Na, gucken wir mal.

Bolle, lefse, flatbrød, bløtkake, kransekake, fyrstekake und verdens beste – typische norwegische/skandinavische Backwaren, die das Leben hier in Norwegen lecker machen. Bestimmt habe ich andere Backspezialitäten vergessen und freue mich auf Eure Kommentare! Gesa und ich gehen jetzt für einen letzten Café latte und eine bolle zu „unserem“ Baker Hansen.

***

Das war es für heute, meine lieben Leser, was für ein glutenhaltiger Blogartikel :). Deutschland ist für mich immer noch Brotmeister und ich vermisse eine echte deutsche Bäckerei hier in Oslo mit deutschen Brötchen, Zuckerkuchen, blankem Brot und und und. Darum mein Aufruf an alle deutschen Bäcker: Kommt nach Oslo und macht mich glücklich!!!

Hm, das liest sich komisch.

Na, Ihr versteht mich schon 🙂

Euch allen wünsche ich ein leckeres, kalorienhaltiges Wochenende – esst ein großes Stück Torte auf mein Wohl! Meine wöchentlichen Grüße gehen diesmal an Verdens beste Theatergruppe – wir haben in 7 Wochen Premiere mit unserem Krimistück „Das Böse, nein, es ruht und rastet nicht & andere Kriminalitäten“ und ich bin sehr gespannt auf unsere Premiere am 18.4.!

Ha det bra,

Vor meiner Baker Hansen Filiale am Bogstadveien.

Vor meiner Baker Hansen Filiale am Bogstadveien.

Ulrike

Nachtrag 28.2.: Heute finde ich diesen Artikel in Aftenposten…

@Aftenposten 28.2.15

@Aftenposten 28.2.15

Darin lese ich, dass Baker Hansen den Bogstadvei verlässt (das wussten wir ja schon) ABER es nicht sicher sei, ob sie die Filiale im dann umgebauten Stadthaus wieder eröffnen!!! Gemeinheit! Bei der Ausweichfiliale, nur einige hundert Meter weiter hieß es, meine Filiale schließe für 2 Jahre. Nicht für immer! Na, warten wir mal ab. – Außerdem war ich heute noch Byens beste boller probieren – super leckere Rosinenboller in der Østbanehalle am Bahnhof. Alle hin da!

Jetzt aber wirklich:  Ha det!

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„Adjø, Kneippbad und Dampfsauna!“ ODER Wie mich (diesmal) der Hausmeister überraschte

tonecartoons.uk

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Es gibt vieles, was ich am norwegischen Mietwohnungsmarkt ätzend finde: Die Preise (aktuelles Angebot: 41m² in Frogner für knapp 1700,- Euro), der teilweise marode Zustand der Wohnungen (Badezimmer aus den 30er Jahren), die Verfügbarkeit (freie Wohnung ab sofort, aber Kündigungsfrist 3 Monate). Eines finde ich aber ganz prima: Dass die Wohnungen samt Elektrogeräten vermietet werden. Kühlschrank, Herd, Spülmaschine, Waschmaschine und Trockner gehören in den meisten Wohnungen dazu. Geht dann mal etwas kaputt, ersetzt es der Vermieter.- Und manchmal erwartet er dabei von seinen Mietern telepathische Fähigkeiten.

In meinem Fall war das wenigstens so.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Erinnert Ihr Euch an die Geschichte von Herrn Siemens, dem Geschirrspüler? Nun, diesmal streikten nicht die Geräte in der Küche sondern im Badezimmer. Die Waschmaschine plante eine neue Karriere als Fliesenwäscher und der Wäschetrockner bildete sich als Saunaofen weiter. Nach jeder Ladung Wäsche hatten wir, kurz gesagt, einen nassen Boden und Nebel im Bad.

Meine entsprechende Nachricht an die Hausverwaltung brachte die übliche Antwort: „Bitte den Kundenservice von Bosch und AEG anrufen.“ Sollte der dann feststellen, dass es sich nicht mehr lohnt, das Gerät zu reparieren, gäbe es Ersatz. Gesagt, getan. Am kommenden Montag klingelte pünktlich um 9 Uhr der Bosch-Mann an der Tür. Als erstes zog der sympathische Techniker seine Schuhe im Flur aus – eine echt norwegische Sitte. In unserer Anfangszeit in Norwegen guckte ich immer irritiert, wenn unser norwegischer Besuch sich im Flur aus den Schuhen puhlte. HEUTE bin ich irritiert, wenn unser deutscher Besuch das nicht sofort tut.

Auf Socken stiefelte Herr Boschtechniker also ins Badezimmer und hatte nach wenigen Minuten das Problem gefunden: Ein riesengroßes Loch im Gummiteil der Trommel war Schuld am nassen Badezimmer. Eine Reparatur lohne sich bei einer derartig alten Maschine nicht mehr, so seine Aussage. Obwohl der Trockner von der Konkurrenz war, warf er einen kurzen Blick aufs Gerät und kam nach meiner Beschreibung der Sauna-Zustände zum gleichen Resultat wie bei der Waschmaschine.

Ich zahlte 800,- NOK an den besockten Techniker, der seine Schuhe wieder anzog und mir einen Bericht per Email am späten Nachmittag versprach. Die Email kam, wurde weitergeschickt an die Hausverwaltung (plus, die, wenn auch firmenfremde, Aussage zum AEG-Trockner) und am nächsten Tag erhielt ich die Antwort: Jawohl, so die Hausverwaltung ungefähr, das höre sich nicht gut an, beide Geräte werden durch ein Kombigerät ersetzt.

Außerdem bräuchten sie noch meine Kontonummer, um die 800,- NOK zurückzuerstatten.

Na, das waren doch mal gute Nachrichten!

WANN der Austausch der Geräte stattfinden würde, wüssten sie noch nicht, es würde sich aber jemand vorher bei mir melden. Prima! Ich hatte von meinem letzten Geräte-Austausch-Abenteuer gelernt und blickte die kommenden Tage IMMER in mein Spamfach – nur für den Fall, dass sich die entsprechende Email dort versteckt hielt.

Nichts passierte. Fünf Tage lang kontrollierte ich Email- und Spamfach, aber nichts. Fünf Tage lang verwandelte sich das Badezimmer weiter zu Kneippbad und Dampfsauna. Ich wurde langsam etwas ungeduldig und erwartete außerdem jeden Tag meinen Nachbarn aus der Wohnung unter uns vor unserer Tür – in Gummistiefeln und mit Regenschirm, weil Wasser durch seine Decke kam. Aber nichts passierte.Tag 6, Tag 7, Tag 8….. Das Leben nahm so seinen Gang, mittlerweile war meine Mutter zu Besuch gekommen und als wir an Tag 9 nach einem Spaziergang zurückkamen, bot sich uns folgendes Bild:

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Da stand ein kombinierter Waschtrockner vor meiner Wohnungstür.

Und wollte anscheinend hinein.

Ok, beschloss ich, es gab drei Möglichkeiten:

  1. Ich besitze ein weiteres Spampostfach, vom dem ich bisher nichts wusste.
  2. Ich habe die Email mit dem Termin gesehen und SOFORT wieder vergessen.
  3. Dr. Who hatte meine Mutter, Gesa und mich während des Spaziergangs in seine Tardis gelockt und in die Zukunft gebracht – dabei DEN Tag übersprungen, an dem ich die Email gefunden hätte.

Ok, ok, Möglichkeit 3 war nicht sehr wahrscheinlich. – Aber es war definitiv meine Lieblingsmöglichkeit!

Auf der Kombimaschine lag eine Nachricht für mich: „Können Sie mich bitte anrufen? Tel.: 12345678. Gruß, Stina.“ Stina ist unser neuer Hausmeister und sobald ich Kind und Schuhe abgelegt hatte, tippte ich entschlossen und gleichzeitig schuldbewusst Stinas Nummer. Da quält sich der arme Mann in die dritte Etage, um dann unverrichteter Dinge wieder gehen zu müssen. War mir das peinlich!!! Es klingelte. Folgender Dialog ergab sich:

Ulrike: „Hallo Stina, hier ist Ulrike aus der Sorgenfrigata.“

Stina: „Ah, ja! Hei!“

Ulrike: „Ich komme gerade nach Hause und finde einen Waschtrockner vor meiner Tür.“

Stina: „Ja, den habe ich dort hingestellt.“

Ach nee….

Ulrike: „Es tut mir leid, anscheinend habe ich die Email mit dem Termin nicht gesehen.“

Stina: „Es gab keinen Termin.“

Stille. Ich versuchte, diese unerwartete Information zu verarbeiten.

Ulrike: „…äh…“

Stina (lacht): „Und deswegen auch keine Email!“

Das hatte eine gewisse Logik.

Ulrike: „Ja, aber…wie…äh…was?“

Stina: „Ich dachte, ich komme einfach mal vorbei. Aber dann hatte ich keinen Schlüssel und konnte nicht rein. Und Sie waren ja nicht da.“

Wie jetzt, ich war nicht da? Wieso hätte ich denn auch….

Ulrike: „Ich konnte ja nicht ahnen, dass Sie und die Maschine kommen.“

Stina: „Hätte ja sein können.“

An diesem Punkt musste ich tief einatmen und überlegen, ob ich im Mietvertrag angegeben hatte, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen. Oder ob das vielleicht eine Anforderung war, um diese Wohnung zu mieten. Mist, und nun war ich aufgeflogen….Hoffentlich holte mich Dr. Who bald wieder ab!

Ulrike: „Ja, tut mir leid, ich habe das leider nicht geahnt.“

Stina: „Macht ja nichts.“

Stille.

Pause.

Waschtrockner: „Hallo? Ich steh hier immer noch.“

Ulrike: „Ja, und was passiert nun?“

Stina: „Ich komme morgen vorbei.“

Ulrike&Waschtrockner: „MORGEN?“

Stina: „Das Gerät ist so ein Schwergewicht, das nimmt schon keiner mit.“

Waschtrockner: zieht hörbar und empört Luft ein.

Stina: „Ich rufe vorher nochmal an, ja? Bis morgen!“

Wir beendeten dieses merkwürdige Gespräch. Ich berichtete dem Waschtrockner sein Schicksal. Dann schloss ich die Tür wieder und dachte: „Das ist so typisch norwegisch!“

Am nächsten Morgen kam Stina wie versprochen vorbei, ließ seine Schuhe an (es scheint besondere Schuhregeln für schwere körperliche Arbeit zu geben), tauschte die Geräte aus und nach knapp einer Stunde stand Herr Waschtrockner Bosch im Badezimmer. Ich verbringe seitdem viel Zeit mit ihm. Ich helfe ihm einerseits, das Flur-Trauma zu überstehen, andererseits versuche ich, meine telepathischen Fähigkeiten gegenüber Elektrogeräten auszubauen. Wer weiß, wann das mal wieder von mir verlangt wird.

Der Herd hustet seit kurzem auch so komisch.

***

So, meine lieben Leser, das war es für heute. Ich hoffe, Ihr hattet Spaß beim Lesen! Habt ein tolles Wochenende und eine noch tollere Woche, lasst Euch überraschen und vergesst nicht zu lachen! In der Deutschen Gemeinde zeigen wir morgen in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Oslo einen absoluten Filmklassiker: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Ab 13 Uhr – kommt zahlreich und habt Spaß! – Meine wöchentlichen Grüße gehen diesmal an unsere Berliner Lieblings-nun-nicht-mehr-Studentin-Nichte Meli, die gerade ihre Masterthesis  erfolgreich verteidigt hat! Klasse! Hipphipphurrah!

Macht es gut, bis nächsten Freitag!

Ha det,

Herr Bosch

Ulrike

10 Dinge, die Auswanderer erleben ODER Es ändern sich nicht nur die Orte….

In-der-Fremde

heise.de

Letzte Woche hatten wir gerade wieder eines dieser Gespräche: „Meinst du, wir bleiben in Norwegen?“ – „Naja, es gefällt uns doch ganz gut.“ –„Ja, stimmt.“ – „Obwohl….“ – „Ja?“ – „England ist ja auch toll…“ – „Hm. Oder Irland.“ – „Australien!“ – „USA!“. Es ist nämlich so: Fängt man einmal an, in der Weltgeschichte herumzureisen, kann man nicht mehr damit aufhören. Und das ist nur eines der Dinge, die passieren, wenn man im Ausland lebt.

Hallo, meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen. Seit 11 Jahren bin ich mittlerweile im Ausland und vieles im Denken und Tun hat sich in dieser Zeit verändert. Manches davon hatte ich erwartet, anderes hat mich überrascht. Heute also ein Versuch: Ich will die Dinge auflisten, die sich nach dem Umzug ins Ausland verändert haben. Für mich. Aber manche erkennen sich vielleicht wieder. Und da ich ein ehrlicher Mensch bin, bleibt auch nichts unerwähnt. „Brav!“, lobt mich mein Gewissen. Og nun, without further ado, voilà:

  1. Über den eigenen Schatten springen…

Es erfordert ein gewisses Selbstbewusstsein, immer neue Leute kennenzulernen. Oder das erste Mal die neue Sprache zu sprechen. In eine bestehende Gruppe „einzubrechen“. Sich mittags mit Kollegen an den Tisch zu setzen, obwohl sie dann automatisch die Sprache wechseln und man sich anfangs so doof vorkommt. Auch mal nachzufragen, wenn man sich unsicher ist. Das ist nicht immer einfach und auch wenn es Leute gibt, denen das nichts ausmacht – ich fand es sehr schwierig zu Beginn. Hatte ich mich aber überwunden und war über meinen Schatten gesprungen, fühlte ich mich stolz wie Bolle.

  1. Das Bekannte suchen…

In meiner Heimatstadt haben wir gerne die (falsch benannten) „Ausländerghettos“ kritisiert. „So integrieren die sich NIE!“ – „Immer für sich bleiben, was wollen sie dann überhaupt im Ausland?“ – Blablabla. Und da ist auch was dran. Ich wetze hier also nicht das Schwert zur Verteidigung von Ausländerzusammenrottungen. Aber ich verstehe sie jetzt besser. Ich kann noch so viele norwegische, kanadische oder franzözische Freunde haben, niemand ist mir in der Seele näher als eine andere Deutsche/ein anderer Deutscher. Sage ich „Herr Müller-Lüdenscheid!“ antwortet mir die Landsfrau: „Herr Dr. Klöbner!“ und wir enden im Chor: „Wenn Sie die Ente hereinlassen, lasse ich das Wasser heraus!“ Kollektive Kulturerinnerungen verbinden.

  1. Sich neu erfinden…

An einem fremden Ort kann man von vorne anfangen. Vielleicht nicht im Beruf, denn viele kommen ja aufgrund einer neuen Arbeitsstelle ins Ausland. Aber den Rest kann man eigentlich neu erfinden. Gerade für mich als „Mitreisende“ war und ist das immer eine Herausforderung. Aber auch eine wunderbare Chance.  Neue Länder bieten neue Möglichkeiten und geben neue Ideen. Dieser Blog entstand erst hier in Norwegen, dabei hätte ich ihn auch schon in Frankreich schreiben können. Aber da kam mir die Idee irgendwie nicht.

  1. Nostalgie

Distanz schafft manchmal verzerrte Bilder und Heimweh kann dazu führen, dass „in der Heimat doch alles besser war.“ Plötzlich vermisst man die Dinge, die früher selbstverständlich waren. Da wird ein „Hanuta“ im Café Liebling in Oslo wie ein lang verlorener Freund begrüßt, so groß ist die Freude, ein Stück Heimat zu sehen. Kehrt man aber zurück an den Heimatort, rückt sich das Bild zurecht.

  1. Überheblichkeit

„Toll, wo du schon überall gelebt hast!“ – „Wow, wie du das schaffst!“ – manchmal zollt man diesen Worten zu viel Aufmerksamkeit, zieht sie sich an wie ein paillettengeschmücktes Abendkleid und fühlt sich wie die Königin von Saba.  Mit kopfschüttelndem Bedauern blickt man auf die, die in der Heimat geblieben sind. Das ist eine ganz, ganz, ganz böse Seite der Weltbummlerei (und meines Charakters) und wird daher wie ein gefährliches Tier an der kurzen Kette gehalten. Raus darf die Bestie nur in Extremfällen. Denn seien wir mal ehrlich: Weggehen kann jeder, der Mut liegt im Bleiben.

  1. Nicht hier, nicht dort….

Egal, wie lange ich noch in Norwegen bleiben werde, ich werde immer die Ausländerin mit dem Akzent sein. Das kann anstrengend sein und weh tun. Komme ich dann zu Besuch nach Deutschland, wird es nicht besser: Hier gehöre ich auch nicht mehr hin. Auch wenn wir vermisst werden, geht das Leben in Deutschland seit 11 Jahren doch prima ohne uns weiter. Man hängt in der Luft. Ich gebe meinen Status gern als Europäerin an, andere sagen sie sind Weltbürger. Das hilft :).

  1. Sprachenwirrwarr

Ich, I, jeg, moi…vier Sprachen kämpfen um Aufmerksamkeit in meinem Kopf und führen zu Verwirrung. Deutsch und Englisch sind stark, Französisch und Norwegisch kämpfen um Platz 3. Für jedes neue norwegische Wort scheint ein französisches zu verschwinden. Ich bin schon zum Flohmarkt der französischen Schule gegangen, um mal wieder die Sprache der Grande Nation reden zu können und zu hören. Jede Sprache trägt mit sich so viele Erinnerungen und Bilder von verschiedenen Orten – ein bunter, mehrsprachiger Zirkus, der manchmal ausbricht. Ich mag die kurze Witzigkeit des Englischen, den Charme des Französischen, die geordnete Gedankenwelt und Sicherheit im Deutschen und die abenteuerliche Neuheit des Norwegischen.

  1. Überall Konten, Renten, Freunde

Mittlerweile besitzen wir Konten in Kanada, Schottland, Frankreich, Deutschland und Norwegen. (Nein, keines in der Schweiz.) Wir haben in allen diesen Ländern Rentenansprüche und –gelder gesammelt und das Beantragen von Rente wird wahrscheinlich einen Jahresurlaub in Anspruch nehmen. Außerdem haben wir aber auch Freunde und Bekannte in den vier Ländern, sogar noch in mehr als vier, denn manche unserer Freunde haben auch wieder das Land gewechselt. Das ist spannend. Leider sind sie (genauso wie unsere Familien) aber dadurch auch so weit weg und man sieht sich nicht (oder nicht oft). Das ist weniger spannend. Um den Kontakt nicht zu verlieren, sind unter anderem soziale Medien ideal und ich stimme ein erneutes „Hurra!“ auf Facebook an: „HURRAH!“

  1. Heute hier, morgen dort…

Immer neue Orte kennenzulernen, nicht nur im Urlaub, sondern dort richtig zu leben, finde ich klasse. So sehr ich meine Freunde, meine Aktivitäten und viele Plätze hier in Oslo gerade schätze, so sehr reizt es mich eben auch, wieder irgendwo neu anzufangen. Ein neues Land zu erforschen mit allen seinen Vor- und Nachteilen ist ein großer Luxus und Spaß. Und man wird besser, je häufiger man es tut. Allerdings freue ich mich auch auf den Moment, wo ich plötzlich an einem Ort stehe (gern auch sitze) und weiß: „Hier will ich bleiben.“

  1. Zuhause

„Aber willst du nicht seßhaft werden? Ein Zuhause aufbauen?“ Im Ausland zu leben, bedeutet auch häufig, in der Luft zu schweben. Nicht ganz da zu sein, nicht ganz dazugehören. Ein Zuhause habe ich aber nie vermisst, denn das ist dort, wo Martin ist. Und seit August: Wo Martin und Gesa sind.  Egal, wo uns der Weg noch hinführt, mein Zuhause ist immer dabei. *** So, meine lieben Leser, das war es schon für heute. Eine kleine, ganz persönliche Analyse, die in vielen Punkten bestimmt von der Geschichte anderer Auswanderer abweicht. In manchen aber auch zutreffen kann. Schildert doch Eure Erfahrungen – und für alle, die nicht auswandern wollen: Was würde Euch abhalten? Ich bin gespannt und freue mich auf Eure Kommentare. Uns allen wünsche ich eine tolle, lustige, leckere und sonnige Woche. Habt Spaß, wo immer auf der Welt Ihr auch seid. Ha det bra, 20150213_125213 Ulrike

Falkenjagd in Oslo ODER Warum habe ich in Bio nie aufgepasst?

@MarionEhrlich

@MarionEhrlich

Biologie war nie eines meiner stärksten Fächer. Zellaufbau oder gekreuzte Erbsensorten haben mich eher zum Gähnen gebracht und während der Jahre auf dem Fachgymnasium stand Bio nicht mal mehr auf dem Lehrplan. Hätte es aber. Statt mir erfolglos chemische Formeln einzuhämmern, hätte lieber das Verhalten von Zugvögeln auf dem Lehrplan stehen sollen.

Dann hätte ich heute bei -10° nicht Ausschau nach Wanderfalken gehalten.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Die Temperaturen in Oslo sinken weiter und lange Spaziergänge mit Gesa fallen momentan aus. Aber den ganzen Tag drinnen hocken wollen wir auch nicht. Da kam vorgestern eine Nachricht der deutschen Krabbelgruppe wie gerufen: Im Literaturhaus fände Donnerstag ein offener Kindertreff statt. Ob wir Lust hätten mitzugehen? Das Literaturhaus ist zu Fuß nicht mehr als 15 Minuten entfernt, eine gute Spazierzeit bei diesen frostigen Temperaturen.

Am Donnerstag morgen blieb Gesa noch genug Zeit zum Spielen und auf den Bauch rollen und mir Zeit für einen Kaffee und Zeitung lesen, bevor wir los mussten. Auf Seite 10 von Aftenposten las ich, dass ein Wanderfalke das Osloer Rathaus bewohnt. Harald Nissen von den Grünen hat nun beantragt, den Westturm des Rathauses als Nistplatz für den Falken zu sichern.

Aftenposten, 5.2.15

Aftenposten, 5.2.15

Interessant, dachte ich und blätterte weiter.

Bald machten Gesa und ich uns auf den Weg, beide dick eingemummelt. Ich jubelte mal wieder über die Heizkabel unter den eisfreien Bürgersteigen des Bogstadveien. Obwohl es gar nicht ihre Schlafzeit war, schlummerte Gesa mir auf der halben Strecke ein. Na toll! Sollte ich sie einfach die 30 Minuten schlafen lassen und DANN ins Literaturhaus gehen? Sollte ich gleich zum Literaturhaus fahren und sie dann eben aufwecken und mit einem knörigen Baby leben müssen? Fragen über Fragen. (Über die erfahrene Eltern wahrscheinlich die Augen rollen….)

Aber das Schicksal nahm mir die Entscheidung ab. Kurz vor dem Literaturhaus wurde ich auf Deutsch angesprochen: „Bist du Ulrike?“ Mein Blick war bestimmt mal wieder sehr intelligent. Immerhin brachte ich ein Nicken zustande. Stellte sich heraus, die beiden Frauen mit Kinderwagen gehörten zur Krabbelgruppe und kehrten gerade aus dem Literaturhaus zurück, das an diesem Donnerstag nur Programm für ältere Kinder anbot.

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Prima, konnte Gesa also weiter schlafen. Und jetzt kam auch noch die Sonne raus! Was für ein Bilderbuch-Wintertag. Statt zurück nach Hause, schob ich ab in den Schlosspark. Gesa war dick eingepackt, es wehte kein Wind – ich entschied, noch länger draußen zu bleiben. Hm. Aber wohin könnten wir gehen?

Da fiel mir der Artikel über den Wanderfalken ein.

Und mein Gehirn fiel anscheinend aus.

Denn bei glitzernden Minusgraden beschloss ich, ihn zu besuchen.

Japp.

Ich gebe Euch jetzt ausreichend Zeit für brüllendes Gelächter.

Genug ? Ansonsten bitte wiederholen.

„Wanderfalke, wir kommen!“ Wir schoben also durch den glitzernden Schlosspark Richtung Aker Brygge, die Promenade in Oslo, an dessen rechter Seite das Rathaus steht. Doch, welch Überraschung, kein Falke war zu sehen.

Und dann wurde ich skeptisch. MIR war schon kalt, wie kalt musste es da so einem gefiederten Tier gehen. Allerdings schossen gutgelaunte Möwen schreiend um mich herum.

Hm.

Ich suchte weiter. Aber irgendwann war mir kalt und so schoben Gesa und ich zu unserem nächsten Termin.

Später im Espressohaus bestätigte Freund Christian mit einem kurzen „Wanderfalken – im Winter????“ meine Zweifel. Naja, immerhin hatten Gesa und ich einen netten Spaziergang bei bestem Winterwetter. Und dem Falken schicken wir Grüße nach Spanien oder Portugal, denn laut dem Großen Norwegischen Lexikon „ziehen norwegische Wanderfalken ins südwestliche Europa.“

Ja, logisch. Sollen die etwa im Winter hier im frostigen Oslo bleiben? Wer glaubt denn sowas? 😉

***

Das war es für heute, meine lieben Leser. Warten wir ab, ob die Falken bald offiziell im Westturm wohnen dürfen und wir sie dabei beobachten können. Wer jetzt schon Vögel beobachten möchte, wird hier vielleicht fündig.  Ich werde mir jetzt mal ein „Biologie für Anfänger“- Buch besorgen oder mich mit einem ornithologisch begabten Menschen unterhalten. Euch allen wünsche ich ein tolles Wochenende und eine schöne Woche, in der Ihr auch mal über Euch selbst lachen könnt. Wir freuen uns hier auf den Besuch meiner Mutter nächste Woche und hoffentlich ein paar Sonnentage.

Ha det,

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(Das falkenlose Osloer Rathaus)

Ulrike