Oslo in Aufregung: Die ersten Flocken sind gefallen! „SCHNEE!“ schrie es gestern auf Norwegisch, Englisch, Deutsch, Polnisch und Litauisch auf facebook und meine internationale Freundesschar übertraf sich beim Posten von Live-Videos, Parkbildern und frühzeitlichen Winterliedern. Da wurde jede Flocke begrüßt wie ein langvermisster Freund und auch wenn das Spektakel nach wenigen Minuten endete, war allen klar: Der Winter kommt.
Hallo meine lieben in 7er-Gruppen versammelten Winterfreunde, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Wir gehen heute gemeinsam auf Schaufensterbummel und ich kann nur sagen: Zieht Euch warm an!
Lachend saß ich also gestern vor dem Computer, summte „Schneeflöckchen, Weißröckchen“, als mir plötzlich ein Gedanke kam: Winter in Norwegen – und was zieh ich an? Natürlich bin ich auf den mitteleuropäischen Winter eingestellt, aber Norwegen? Wo es bis zu gefühlten – 500 Grad werden soll, mit kniehohen Schneebergen und Frostbrandgefahr? Wie schützt man sich? Was zieht man an?
Es blieb nichts anderes übrig: Ich musste mich informieren.
Das hieß ab in die Geschäfte.
Mist.
Ja, da könnt Ihr jetzt lachen, aber ich gehe wirklich nicht soooo gerne shoppen. Meistens wandere ich ratlos durch die Geschäfte und denke: Wow, wer zieht DAS denn an? Wo sind denn die Sachen für mich? Mittlerweile gibt es in vielen Ländern den „personal shopper“, eine dem einzelnen Kunden persönlich zugeteilte Verkäuferin namens Larissa oder so, die mit einem Blick die Situation erfasst und mit drei Griffen eine komplett neue Garderobe zusammengestellt hat.
Was für ein Horror.
Ich stelle mir vor, wie ich taxiert werde und Larissa dann mit Grabesstimme erklärt: „Wir haben viel zu tun.“
Doch desperate times call for desperate measures. Ich machte mich also auf den Weg in die Stadt, entschlossen, am Ende des Tages eine komplette Winterausrüstung zusammengestellt zu haben. (Martin, falls du jetzt panisch wirst: Ich wollte noch nichts KAUFEN – nur informieren!) Die Sonne strahlte vom Himmel und führte mich gutgelaunt in die Innenstadt, wo mehrere Einkaufszentren und die Karl-Johans-Gate vielversprechende Anlaufstellen boten. Wir hatten bereits von Freunden und Kollegen gute Ratschläge für unsere erste Winterausrüstung bekommen, wobei die Norweger nur ein Wort sagten: „Wolle!“, während die Nicht-Norweger Tipps gaben, die von „Zara, H&M haben warme Sachen!“ bis „North Face Thermomantel“ reichten.
Ich versprach, offen für alle Vorschläge zu sein und betrat das erste Geschäft auf dem Weg. „Gina Tricot“ heißt die, nehme ich mal an, in ganz Europa bekannte Kette (Larissa rollt verzweifelt mit den Augen und nickt dann). Hinein da! Bewundernd sah ich mich um. Gina Tricot vermittelte ihren Kundinnen eine klare Botschaft zum Thema Winter: Wir lachen ihm höhnisch ins Gesicht! Eisglatte Bürgersteige? – HA! Frostige Minusgrade? – HA! HA! – Hautzerfetzender Eiswind? HA! HA! und nochmals HA!
Wir kontern mit blauen Satinstilettos, ärmellosen Seidentops und Miniröcken aus Tweed! Winterjacken? Nur für Schwächlinge!
Ich zog meine Fleecemütze tiefer ins Gesicht und begab mich aus dem Tropenparadies zurück auf die Osloer Geschäftsstraße. Das war wohl nichts. Mein Auge wanderte auf die andere Straßenseite und:
OHO!
Cubus lockte seine Kunden mit Ständern voller Winterjacken, die auf dem Bürgersteig standen. Frohgemut ließ ich mich locken, um nur wenig später mitleidig neben den offensichtlich frierenden Jacken zu stehen. „Hallo!“, wollte ich rufen. „Holt doch mal Eure Jacken rein, denen ist kalt.“ Ob ich sie alle kaufen und zu Hause aufwärmen sollte? Merke: Es ist nicht alles warm, was dick und kuschelig aussieht. Ich rubbelte jeder Jacke noch einmal aufmunternd über die Ärmel und ging weiter. Was hätte ich tun sollen? Schon tauchte der nächste Laden auf und diesmal hatte ich ein gutes Gefühl! Die Outdoormarke Norrønna ist in Norwegen sehr beliebt und wenn es in Outdoorgeschäften keine warme Winterkleidung gibt, wo denn bitte sonst?
Norrønna schien allerdings neben der Wärme auch noch eine andere Sorge zu haben: Lawinen. Nebel. Dunkelheit. Anders konnte ich mir die grellschreiende Farbenpracht nicht erklären, die mir im Geschäft entgegenschlug. Pinke Hosen, neongelbe Shirts, leuchtend blaue Jacken lieferten sich einen erbitterten Wettstreit und schrien mir entgegen: Wo immer du bist, mit uns gehst du nie verloren! Mir wässerten die Augen, als eine Mitkundin sich in gelber Skijacke schwungvoll vor dem Spiegel drehte und mutig nach einer pinkgrünen Hose griff. Nein, es gibt Farbe und es gibt Farbe und das hier war einfach zuviel.
Auf der Straße beruhigte ich meine Augen im Schaufenster eines Herrenausstatters, der mit Tweedsakkos und dunkelgrünen Kaschmirpullovern warb. Eine Wohltat. Leider ohne Frauenabteilung. Überhaupt schien es für die Männer einfacher zu sein, sich der Temperatur entsprechend zu kleiden. Wo Frauen den frostigen Temperaturen anscheinend mit innerem Feuer trotzen sollen, hüllen Männer sich in Wolle, Tweed und Kaschmir. Red‘ mir einer von Gleichberechtigung, dachte ich grummelnd und betrachtete die gemütliche Winterdekoration im Schaufenster: In einen Lehnstuhl platziert, die Beine lässig überschlagen, frönte eine warm angezogene Schaufensterpuppe einer guten Pfeife. Auf dem Beistelltisch neben ihr lag ein Paar wollene Unterhosen. Hm. Und dann: Das ist die Lösung!
HA!
Sollte ich auch in der Oberbekleidungswelt als Frau diskriminiert sein, die wollene Unterwäsche wird es jawohl für beide Geschlechter geben!
Warum war ich darauf nicht früher gekommen? Natürlich, wollene Unterhosen, Hemden und Socken sollten meine Rettung im nahenden Winter werden.
Ich betrat H&M. Warum gerade H&M? Och, mir war nach ein bisschen Spaß. Denn nun habe ich einen Tipp für Euch: Falls Ihr an einem trüben Novembernachmittag ein wenig Unterhaltung braucht, geht zu H&M in die Unterwäsche-Abteilung und fragt die Verkäuferin dort: „Haben Sie Wollunterwäsche?“
Meine wurde blaß und schwankte gefährlich. Um den Spaß auf die Spitze zu treiben, beschrieb ich die gerade im anderen Schaufenster gesehenen, langen wollenen Unterhosen. „In Kanada“, fügte ich harmlos hinzu, „werden die, glaube ich, Long Johns genannt. – Nein? –Schade.“
Im Weggehen sah ich wie das arme Mädchen behutsam von einer Kollegin weggeführt wurde. (Larissa schüttelte ob meiner Unverschämtheit den Kopf und nannte mich „dumme Pute“. Falls eine fiktive personal shopperin das überhaupt darf.)
Ich sehe natürlich das Problem: Kundinnen von H&M sind offensichtlich weniger mit ihrer drohenden Unterkühlung beschäftigt, als damit, die bestehende oder neuaufzugabelnde Männerwelt zu beeindrucken. Was mit wollenen Long Johns schwierig wird. Nicht unmöglich, wohlbemerkt, aber schwierig. Aber meine Mission war die Komplettierung meiner Wintergarderobe und ich konnte dem drohenden Frost nicht mit paillettenbenähten Tangas begegnen. Also ab in den nächsten Laden.
Das grüne Zeichen von XXL, eine der großen Sportgeschäftketten, leuchtete mir entgegen. Hier führte meine Frage nach Merinowäsche zu keinen größeren Problemen: Nonchalant führte mich der junge Verkäufer zu einem Regal mit wollenen Hosen, Shirts und Hemden. Erschwinglich, nicht zu häßlich und ein „Muss im norwegischen Winter!“ wie mein Verkäufer betonte. (HA!, rief ich Larissa zu, die die Augen verdrehte.) Im Weitergehen las ich noch eine wichtige Botschaft von XXL: Schichten seien das A und O, um im Winter warm zu bleiben. Schicht 1, das sei wichtig, sei dabei die Unterwäsche.
Gut, dass sie das geschrieben haben.
Ich hätte die Merinounterhose ansonsten außen getragen. Wer weiß!
Die Frage nach der wärmenden Unterschicht befriedigend gelöst, begab ich mich auf die Suche nach einer möglichen Oberschicht. Ich betrat eines der großen Shoppingcenter am Hauptbahnhof und wurde von einem Bodyshop –Schild mit der frohen Botschaft: Happy Halloween! begrüßt. Irgendwie irritierte mich das. Soll ich das auf dem Schild beworbene Gesichtspeeling benutzen, damit ich NICHT nach Halloween aussehe oder gerade doch? Und warum sah der Wollpullover im Laden nebenan aus, als hätte ein verfilzter Langhaardackel dafür sein Leben lassen müssen? Und wieso kann ich jetzt gerade meine Notizen hier am Schreibtisch nicht mehr erkennen und bringe mich damit um einen weiteren, genialen Witz? „..krikelkrikel…empfehlen es an die Wena“, was soll das bedeuten? Wer ist Wena?
Hoffnungslos.
Ich war erschöpft. Etwas halbherzig streifte ich durch die Läden, ließ mein Auge wandern und fand shoppen einmal mehr sehr anstrengend.
Immerhin hatte ich die Unterschichtfrage gelöst, nicht wahr? Ach, und die Schuhfrage auch: Es werden Sorel-Stiefel für Martin und mich, das hatten wir nach einem Geheimtip am Abend vorher entschieden. Und genau die Sorel-Stiefel, die wir uns im Internet ausgesucht hatten, sprangen mir in einem Schuhgeschäft im Shoppingcenter entgegen. WOOHOO!
Ich beschloss, dass ich für einen Vormittag genug Recherchen betrieben hatte, entließ die fiktive und unnütze Larissa und begab mich nach Hause. Die Frage nach dem richtigen Wintermantel/-parka muss auf später verschoben werden. Immerhin hatte ich für einen warmen Po und warme Füße gesorgt.
Wenn das nichts ist! Der Winter kann kommen.
Das war es schon, meine lieben Leser! Ich hoffe, Ihr hattet Spaß auf unserem gemeinsamen Bummel und fürchtet Euch jetzt nicht mehr vor dem Winter. Für mich wird es jetzt Zeit, den Smoking aus dem Schrank zu holen und das Martiniglas zu polieren, denn heute hat der neue James-Bond-Film Premiere und wir sind dabei. Ich wünsche Euch eine tolle Woche, zieht Euch warm an, schockt mal wieder eine Verkäuferin und freut Euch am Leben.
Ich schicke an dieser Stelle ganz liebe Grüße an meinen Lieblingswikinger Volker, der gerade seine Zeit in Bad Kreuznach absitzt. Lass es dir gut gehen!
Falls bei Euch etwas Wichtiges ansteht und Ihr Grüße braucht, dann schreibt mir einfach unter ulrisco@yahoo.co.uk und schon beim nächsten Blog werdet Ihr erwähnt!
Lass es Euch gut gehen,
ha det bra,
Ulrike