Kurz vor dem alle Jahre wiederkehrenden, umsatzschwachen Sommerloch fiel der norwegischen Presse noch eine Sensationsmeldung auf die Schreibtische: Kronprinz Haakon und Gattin Mette-Marit ließen verlauten, ihre beiden Kinder werden ab Herbst 2014 Privatschulen besuchen.
Privatschulen????
Skandal!!!
Hallo meine lieben adelstreuen Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. ENDLICH mal ein Blog über die Königsfamilie! Gleichzeitig aber auch ein Einblick in die norwegische Seele, das norwegische Schulsystem und die Macht der Presse. (Dies als Köder für alle, die beim Thema Königsfamilie gelangweilt wegklicken wollen.)
Fangen wir am Anfang an. Da ist bekanntlich das Wort, in diesem Fall: Folkelig. Das ist ein schwer zu übersetzender norwegischer Begriff und bedeutet, grob gesagt, volksnah. Wer folkelig ist, ist wie alle anderen. Und DAS ist gut so. Besonders von der Königsfamilie wird erwartet, dass sie folkelig ist. Immerhin ist die gesamte Monarchie vom Volk beschlossen worden und da darf man jawohl erwarten, dass die im gelben Schloss sich nicht soviel auf ihren Status einbilden.
Gleichheit mag vielleicht ein Recht sein, aber keine Macht vermag sie in die Tat umzusetzen.
Honoré de Balzac (1799 – 1850), französischer Philosoph und Romanautor
Nun gibt es aber ein Paradox: In §5 des norwegischen Grundgesetzes steht, dass der König heilig ist („Kongen er hellig.“). Und da kann ein Heiliger noch so volksnah sein, heilig bleibt er trotzdem und schwebt damit, metaphorisch ausgedrückt, ein paar Meter über dem Erdboden. Ein anderes Paradox ist, dass die Königsfamilie selbstverständlich in einer Welt voller Privilegien lebt, Privilegien sowohl sozialer als auch ökonomischer Natur. Und damit sind sie nicht allein, denn so sehr die Norweger auch vom Janteloven – dem Gleichheitsgesetz – träumen, gibt in Realität natürlich immer Leute, die reicher sind, besser vernetzt, angesehener. Und damit weniger gleich. Die Königsfamilie versucht seit Jahrzehnten, die Balance zwischen sozialer Vormachtstellung und Volksnähe zu schaffen. Unvergessen die Straßenbahn-Fahrt von König Olav 1973 während der Ölkrise. Wie Ole Nordmann (der gewöhnliche Norweger) saß das Staatsoberhaupt neben seinen offensichtlich begeisterten Untertanen und zückte seine Geldbörse, um ein Ticket zu kaufen. (Dass er die übrigen Jahrzehnte seines Lebens in Luxuskarossen durch die Weltgeschichte oder Norwegen fuhr, blendete das Volk damals scheinbar aus.)
Ähnliches gilt seit Jahrzehnten für den Schulbesuch der königlichen Sprößlinge. Sowohl Kronprinz Haakon als auch seine Schwester Prinzessin Märtha Louise besuchten die öffentliche Schule in Smestad, in der bereits ihr Vater nach dem zweiten Weltkrieg die Schulbank drückte. Königin Sonja begann ihre Schulkarriere in einer Privatschule, wechselte aber dann ebenfalls zur Smestadt Schule und erreichte 1954 an der Realschule von Ris ihren Abschluss. Und bis zu diesem Sommer traf diese volksnahe Schulwahl auch auf die Kinder des Kronprinzenpaares, Thronfolgerin Ingrid Alexandra und ihren Bruder Sverre Magnus, zu. Beide besuchten – laut Königshaus ohne nennenswerte Probleme – die Jansløkka Schule in Asker bei Oslo.
Der sie heute, am letzten Schultag, „Ha det“ gesagt haben.
Denn ab Herbst wird Ingrid Alexandra nach dem Willen ihrer Eltern die Internationale Schule Oslo besuchen, Sverre Magnus die Montessori-Schule Oslo. Diese Meldung wirkte wie ein Stich ins Wespennest. „Fjerner seg fra folket!“ titelte das linksfreundliche Boulevardblatt Dagbladet. Das Kronprinzenpaar entferne sich vom Volk – sei also, kurz gesagt, nicht mehr folkelig. Dabei sei es eine lange Tradition in Norwegen, dass das Königshaus Bescheid wisse über das Alltagsleben der Norweger. Mit dieser Entscheidung zur Schulwahl entferne man sich von dieser Tradition, so Torgeir Knag Fylkesnes von den Linken. Martin Kolberg von der Arbeiterpartei sah in der Entscheidung gar einen Schritt Richtung Ende der Monarchie. 100.000 norwegische Kronen koste allein die Internationale Schule pro Jahr, jaulte die Zeitung weiter, und was denn so schlimm wäre am weiteren Schulbesuch in der öffentlichen Schule in Asker?? Das Königshaus reagierte gelassen und begründete die Wahl für Prinzessin Ingrid Alexandra damit, dass sie „grundlegende Fähigkeiten erlangen soll, in Englisch zu denken, zu sprechen und zu schreiben.“ Die ironische Antwort von Politiker Fylkenes ließ nicht lange auf sich warten: „Man sollte glauben, dass Ingrid Alexandras Aufgabe als Prinzessin und spätere Königin von Norwegen sei, auf NORWEGISCH zu denken und zu sprechen.“
Die Fronten sind also verhärtet, an der Situation ändert sich aber nichts. Die norwegischen Königskinder gehen auf die Privatschule. Dem Willen ihrer Eltern gemäß.
Ich finde diese ganze Diskussion sehr spannend. Nicht, weil sie das Königshaus betrifft, aber weil sie einen Einblick in die norwegische Seele ermöglicht: Man kann gerne reich oder mächtig sein, aber das hat man gefälligst für sich zu behalten. Wie aber lässt sich dieses Ideal vereinbaren mit dem Wunsch der Eltern, für die bestmögliche und am besten geeignete Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen? Mit diesem Wunsch stehen Haakon und Mette-Marit ja nicht allein da. 30% der Schüler der Internationalen Schule Oslo sind norwegische Kinder (neben Kindern von Botschaftsangestellten und anderen ausländischen Angestellten hier in Oslo) mit norwegischen Eltern. Sie alle wollen eine international geprägte Ausbildung für ihre Kinder. Eine Ausbildung, die es so an norwegischen Schulen nicht gibt.
Und ja, dafür muss man dann eben bezahlen.
Und nein, das können nicht alle Eltern in Norwegen, auch wenn sie es gerne würden.
Und doch, das widerspricht dem Ideal der Gleichheit.
Deshalb kann all die Kritik, die seit Mittwoch durch die Foren der Onlineausgaben von Dagbladet oder Aftenposten schwirrt, in denen Mette-Marit als „snobistischer Emporkömmling“ bezeichnet wird, die allein verantwortlich für die elitäre Schulwahl ist; in denen die Monarchie als „auf dem absteigenden Ast“ bezeichnet wird und in denen die öffentlichen Schulen gepriesen werden obwohl (oder gerade weil) sie „anscheinend für privilegierte Königskinder nicht geeignet sind“ – all diese Kritik könnte genauso gut den anderen norwegischen Eltern gelten, die diese Wahl für ihre Kinder getroffen haben. Sie alle sind nicht mehr folkelig.
Aber stimmt das? Sind sie nicht gerade dadurch volksnah, dass ihnen, wie allen norwegischen Eltern, das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt? Dass sie eine Entscheidung treffen, ohne auf die Kritik der Umgebung zu achten, weil sie das Beste für ihre Kinder wollen? Und geht es bei der Schulwahl wirklich um Prestige oder vielleicht doch eher um Qualität? Und wenn das so ist, warum verlieren die öffentlichen Schulen dann? Fehlt es diesen Schulen eventuell an individueller Betreuung und ausreichendem Personal? Vielleicht wird das Gleichheitsprinzip auch in den öffentlichen Schulen zu sehr in den Mittelpunkt gestellt. Aber es gibt nun einmal intellektuelle Unterschiede zwischen Schülern, so ist eben das Leben, und diese Unterschiede nicht zu beachten zugunsten eines abstrakten Gleichheitsprinzips – das ist doch hirnrissig. Ich muss mich damit näher befassen: Ein Blog zum norwegischen Schulsystem wird also folgen.
Die Diskussion wird hier in Norwegen weitergehen und ich werde Euch auf dem Laufenden halten. Für den Moment sind die Fronten etwas verhärtet, an der Situation ändert es aber nichts. Und das ist auch gut so, denn wer will schon ein Königshaus, das sich zu sehr nach den Wünschen und Beschwerden seines Volkes richtet? Denn schließlich, um Ebba D . Drolshagens Buch Gebrauchsanweisung für Norwegen zu zitieren: „Ist sie (die Königsfamilie) zu normal, macht sie sich schnell entbehrlich…“ – und das wollen wir ja auch nicht!
***
Das war es für heute, meine lieben Leser, mit unserem Ausflug in die norwegische Seele. Euch allen wünsche ich eine tolle Woche und meine wöchentlichen Grüße gehen mal wieder an Euch, meine Leser. Toll, dass Ihr da seid! Und besonders toll, wenn Ihr mich im Supermarkt ansprecht und mir erzählt, dass Ihr den Blog lest. Darüber freue ich mich den ganzen restlichen Tag! Macht es also gut, viel Spaß in den Ferien, bei der WM, im Garten, mit Freunden oder wo auch immer Ihr die Zeit verbringt.
Ha det bra,
Ulrike