Ich will norwegische Bäuerin werden.
Sofort.
Ich will ein grasgedecktes, norwegisches Holzhaus mit wucherndem Gemüsegarten, glücklichen norwegischen Hühnern und kleefressenden Kühen. Jeden Morgen will ich mit Heugabel und strahlendem Lächeln bewaffnet mein Reich betreten, juchzend in meiner bunten Tracht eine Pirouette drehen, während Martin auf der norwegischen Geige ein schwungvolles Morgenlied anstimmt. Danach zieht Bauer Martin mit dem tuckernden Traktor hinauf aufs Feld (und singt ein fröhliches Abschiedslied dabei), während ich am bullernden Holzofen köstliche norwegische Teigfladen backe. (Achso, ich hatte die norwegische Heugabel vorher dabei…äh…die nehme ich mit in die Küche. Zum Teigfladen umschichten. Genau.) Abends genießen wir im sonnenblumenüberfluteten Garten ein bescheidenes Mahl und nachdem Martin ein melancholisches, norwegisches Nachtlied gespielt hat, sagen wir den Kühen auf Norwegisch Gute Nacht und fallen erschöpft auf unsere Strohsäcke.
Idyllisch, oder?
Ich war vier Stunden im Norwegischen Volksmuseum.
Das waren vielleicht zwei Stunden zuviel.
Niemand sprach eine Warnung aus, als meine Mutter und ich im strahlenden Sommerwetter Tickets kauften. Die Kartenverkäuferin hätte beim Einlass warnen sollen: „Übermäßiger Folkloregenuss gefährdet Ihre Gesundheit!“
Aber nein.
Ein freundliches Lächeln, zwei Tickets und ein Plan war alles, was wir bekamen. Wir waren auf uns gestellt. Schutzlos der norwegischen Idylle ausgeliefert. Allein gegen die Übermacht lebendig gewordener Farmville-Klischees. Es war aussichtslos.
Bereits kurz nach Betreten des bäuerlichen Disneylands boten uns drei Musiker Unterhaltung mit norwegischen Weisen und Tänzen. Von der Geige begleitet drehte sich das glücklich lächelnde Paar über den staubigen Hof und tanzte den Klapptanz. Gute Laune von Anfang an!
Schwungvoll setzten wir danach unsere Norwegen-Expedition fort. Alle südöstlichen Landesteile sind im Norske Folkemuseum vertreten: Nach den glücklichen Musikern der Telemark erreichten wir die gewaltigen Holzspeicher im Hallingdal, wo uns auf einer Kleewiese ein braune Kuh samt Kalb begrüßte. Auf einer Bank vor den schwarzen Holzlagern im Hordaland, umgeben von norwegischen Apfelbäumen, genossen wir eine kurze Rast.
In mir stieg unerwartet der Wunsch hoch, einen Apfelstrudel zu backen. In Tracht, mit Schürze. Mir wurde warm.
In Trøndelag erwartete uns neben quiekenden und quietschlebendigen Schweinen auch ein furzendes Pferd, das sich just in dem Moment, als meine Mutter sich näherte, seines Darmgases entledigen musste. Irgendwie unfreundlich.
Nach einer mehrminütigen Lachattacke fand ich mich wieder in der Lage, meine Umgebung zu erforschen und stieß auf einige nützliche Geräte, die bestimmt brauchbar auf meinem Hof wären. Irgendwie bestimmt. Sobald ich herausgefunden habe, wozu dieses Ding beispielsweise nützlich ist.
Meine Transformation war in vollem Gang und auch an meiner Mutter spürte ich erste Veränderungen. Sie schien mehr die technische Seite des Landlebens zu interessieren und fotografierte unentwegt einen 1950er Traktor im Trøndelag. Während ich grübelte, wie viele Hühner meinen idyllischen Bauernhof bevölkern sollen, öffnete sich die Eingangstür des Wohnhauses im Trøndelag und die 1950er Bäuerin trat heraus. Nun erkennen sich Bäuerinnen natürlich untereinander, und sie lud uns sofort auf eine Tasse Kaffee ein. Wir saßen gemütlich plaudernd in ihrer Küche und bewunderten die alten Requisiten und Dekorationen. Ein wahres Highlight des Besuchs.
Im Numedal war es dann soweit: Ein grasgedecktes Holzhaus mit Gemüsegarten und rauchendem Schornstein stand in seiner ganzen Perfektion vor uns. Möhren, Zwiebeln und Kartoffeln trieben aus der Erde, in einem anderen Beet wuchsen Grünkohl, Rotkohl und Rote Beete. Kartoffelfelder zogen sich durch das ganze Gelände und Johannisbeerbüsche lockten mit vollen Ästen.
Ist es da ein Wunder, dass ich sofort einziehen wollte? Dass ich der Stadt entfliehen und ein auf Misthaufen und Brotbacken zentriertes Leben führen wollte? Strahlender Sonnenschein, ländliche Idylle, Geruch von Früchten, Erde und selbstgebackenem Fladen – es war einfach zuviel für mich. Der Himmel hatte ein Einsehen und öffnete die Schleusen. Direkt vor der wunderschönen Stabkirche erwischte uns der Guss. Doch wahre Norwegenurlauber und künftige Landbesitzer lassen sich nicht entmutigen und nassen Fußes erkundeten wir einen der architektonischen Höhepunkte des Freilichtmuseums.
155 Gebäude bilden auf einer Fläche von 140.000 qm dieses beeindruckende Erlebnismuseum, manche der Häuser können näher erkundet werden und perfekte Fotomotive bieten sich überall. Natüüüüürlich ist es verherrlicht, verkitscht und weit entfernt von jeglicher Realität aber…so what? Manchmal brauchen wir genau das.
..oder das…
Um uns langsam aus der bäuerlichen Idylle in die Großstadtwelt zurückzuführen, boten die cleveren Museumsführer am Schluss eine Besichtigung der „Gamle Byen“, der alten Stadt an, inklusive Kolonialwarenhandel, Apotheke samt Kräutergarten, Tankstelle und Bankhaus.
Doch die bäuerliche Idylle hat sich festgesetzt in mir. Die glücklichen Hühner suchen mich im Traum auf und entrückt betrachte ich Karotten im Supermarkt. Ich sehe mich bereits Röcke schwingend Gras mähen und höre dazu Martins schwungvolles Erntelied erklingen.
Vielleicht..eines Tages…..wer weiß??
Ich kaufe erst mal eine Jahreskarte fürs Museum.
Das war es schon wieder für heute, meine lieben in 7er-Gruppen versammelten Leser. Ich wünsche Euch eine tolle Woche, habt verrückte Träume, lasst Euch begeistern und fahrt mal wieder aufs Land.
Nächste Woche reist meine Mutter schon wieder ab, was ich unerfreulich finde und an Gegenmaßnahmen arbeite. Davon erzähle ich Euch nächste Woche und beschreibe außerdem was passiert, wenn Weihnachten im Juli ist.
Ha det bra,
Ulrike
Wunderbar, aber moechtest du wirklich, das ICH Geige spiele?
Ich habe schon Alex Rybak angerufen. Du hast ab nächste Woche Unterricht 🙂
Ulli, da möchte ich auch umbedingt hin, nächstes Jahr! Das eine Bild, von dem „Stelzenhaus“, das erinnert mich an das kleine Museumsdorf, was wir in Kristiansand kurz vor der Abfahrt besucht haben… erinnerst du dich?
Vielen Dank für deine Einblicke, ich kann dich so gut verstehen!
Babs, ich sehe uns beide schon singend über die Felder ziehen 🙂
oh ja!! 🙂 Und Martin fiedelt eine schöne Melodei 😉
klasse 🙂
….das Museum MUSS auf deine Liste, Annette!
Hallo Ulrike,
wieder einmal wunderbar geschrieben – vielleicht sollte ich auch mal wieder Landluft schnuppern? Um zum Trost noch etwas positives an der Abreise Deiner Mutter zu finden: Vielleicht haben wir dann mal Gelegenheit, uns auf einen Geitost – ääääh – auf einen Kaffee zu treffen. 🙂
Liebe Grüße,
Eva
Ohja, Eva, KAFFEE hört sich gut an :)) Ich backe ein paar Lefze dazu 🙂
Alles klar – aber bitte ohne Mistgabel! 🙂
Huhu……
Hast du mal wieder toll geschrieben. Bein nächsten „Old good Germany“ Urlaub lade ich euch eine Woche zu mir ein. Hier kannst du mit technischen Arbeitsgeräten dir den Tag versüßen, wohnst in einem Häuschen mit grünen Dach, wo du dir deine Wärme selber hacken musst, wo Strom und heißes Wasser ein Fremdwort, bzw. du viel deiner Energie investieren musst, um diese Annehmlichkeiten genießen zu können. Kühe und ähnliche Vierbeiner laufen hier auch genug rum.. Selbstverständlich darfst du auch in Schwiegermutters Gemüsegarten ernten, säehen und pflegen wie du möchtest…. Sie wird es dir bestimmt mit einem handgemachten Eintopf danken…
Überleg es dir, denn Eintritt wird hier nicht erhoben und einer deiner Träume ist schonmal damit erfüllt.
Liebe grüße aus dem WeserbergLAND….. Volker und der Rest….
PS.: Ich will Martin fiedeln sehen…….
*packt ihre Heugabel und steigt auf die Fähre* SUUUUUUPER!!!!!
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