Slow TV im norwegischen Fernsehen Teil 2 ODER …und sie singen und singen und singen

Jon Olav Ørsal

Jon Olav Ørsal

Das letzte Wochenende im November war ungewöhnlich. Statt wie üblich länger zu schlafen, dann ein bisschen durch die Stadt/Natur/Welt zu bummeln und abends einen netten Film zu gucken, saß ich fast 36 Stunden lang vor dem Fernseher. Slow-TV hatte mich im Hypnosegriff!

Hallo meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen. Am Donnerstag vor besagtem Wochenende erreichte mich eine SMS von Freundin Claudia, in der es ungefähr hieß: „NRK zeigt 36 Stunden Chorgesang. Das wär doch was für dich!“

Nun möchte ich an dieser Stelle mal allen Freunden des Blogs danken, die mich mit neuen Themen versorgen. Mal per email, mal per SMS, manches ergibt sich im Gespräch. Das finde ich super, macht weiter so!

Nun saß ich also mit Claudias SMS auf dem Sofa und dachte: NRK macht WAS???? Aber warum war ich erstaunt? Ein Fernsehsender, der bereits die 5-tägige Schiffsreise der Hurtigruten live verfolgt hatte, verantwortlich war für „Die norwegische Stricknacht“ und acht Stunden nichts weiter gezeigt hat als knisterndes Kaminfeuer – für den sind 36 Stunden Chorgesang ja fast eine Actionshow. Aber was soll denn 36 Stunden lang gesungen werden, fragte ich mich? Ich öffnete die Webseite des NRK und suchte nach den Programmankündigungen des Wochenendes. Ganz oben: Minutt for minuttSalmeboka. Minutt for Minutt, also Minute für Minute, ist der Konzepttitel des norwegischen Slow-TVs und Salmeboka anscheinend das neueste Projekt. Salmeboka? Boka, also Buch. Aber was sind Salme? Etwa…Psalme? Heißt das etwa, dass….?

Jawoll.

NRK2 lässt in 36 Stunden das komplette Gesangbuch der norwegischen Kirche singen.

Alle 899 Lieder.

Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

In der Deutschen Gemeinde haben wir im Februar ein ähnlich ambitioniertes Projekt gestartet: Bibel24. Wir lesen 24 Stunden lang die Bibel, stoppen und lesen ein paar Monate später an der Stelle weiter  – so lange, bis wir die Bibel durch haben. Nach drei Marathonlesungen haben wir letzten Monat das Alte Testament beendet. Immer, wenn wir eine neue Bibel24-Lesung ankündigen, werden wir gefragt: Warum macht Ihr das? Ich wette, unsere Antwort und die des NRK Minutt for minutt Salmeboka – Teams sind identisch: Warum nicht?

Das nur als Anekdote am Rande. Zurück zum Chorgesang.

Am Freitag, 28.11. um 11.45 öffnete Kulturministerin (!!!) Thorhild Widvey die Pforten der Vår Frue Kirche im Zentrum von Trondheim – dem Hauptaustragungsort des Gesangsmarathons. Zwei schlichte Chorbühnen, Schienen für die fahrbare Kamera und ein paar Scheinwerfer waren im Inneren aufgebaut. Mehr brauchte es nicht. Die Technik hinter den Kulissen lernten wir Zuschauer erst später kennen.

Ich war der ganzen Show mehr als kritisch gegenüber eingestellt. Mal ehrlich….36 Stunden Singen? 36 Stunden Kirchenlieder? 899 Stück?

Aber dann begann der Organist die erste Note zu spielen, oben am Bildschirm erschien ein dreiteiliges Zahlenfeld, das langsam von „000“ auf „001“ drehte und es passierte etwas Unerwartetes: Ich fühlte mich als Teil des Projekts.

Das hört sich jetzt völlig gaga an und ich sehe direkt, wie Ihr vor dem Bildschirm mit den Augen rollt. Aber rollt nur, liebe Leser, es war, wie es war: Ich stand mit den 200 Chören, sechs Organisten, mehreren Solisten und Musikern, dem NRK-Team und allen anderen Beteiligten am Startblock und war bereit 36 Stunden lang durchzuhalten. Ich wollte sehen, wie aus der „000“ eine „899“ wurde. Das sollte so ungefähr am Sonntagabend um kurz vor Mitternacht passieren.

Her mit Popcorn, norwegischem Wörterbuch, Kerze und Decke und los geht es! Projekt Salmeboka lief.

Gleich zu Anfang hatten wir hier im Wohnzimmer gewisse Schwierigkeiten zu überwinden. Gesa, eigentlich ein großer Musikfan, begann bei den ersten Tönen von Herre Gud ditt dyre navn og ære herzzerreißend zu weinen. Ich war verwirrt: Hatte sie Hunger? Nein. Windel voll? Nein. Kuscheln wollte sie auch nicht. Nur weiter weinen. Ratlos drückte ich den Ton vom Fernseher weg – das Weinen stoppte. Probeweise stellte ich den Ton wieder an – Gesa weinte. Ich konnte mir die Abneigung gegen Herre Gud ditt dyre navn og ære zwar nicht erklären, ließ es aber stumm ausklingen. Auch das zweite Lied führte zu dicken Kullertränen. Nun tue ich ja viel für unser wunderbares Kind, aber ich wollte auch das Projekt Salmeboka miterleben, und zwar idealerweise mit Ton. Während der Mädchenchor des Nidarosdoms also Folkefrelsar til oss kom sang (ohne Ton), sang ich für Gesa Bæ, bæ lille lam (mit Ton). Das bringt sie immer zum Lachen und kurze Zeit später verfolgten wir beide den Gesangsmarathon tränenfrei und mit Ton. Ob sie nun das geringere Übel gewählt hat oder nicht, wer weiß das schon. Auf jeden Fall liefen keine Tränen mehr. (Und wer von Euch Lesern jetzt schon empört in die Tastatur tippen will: Gesa hat nicht VOR dem Fernseher gesessen. Sie war einfach im selben Raum und hat zugehört.)

Während Lied 009 rief Martin an und fragte nach ein paar Augenblicken Gespräch verwirrt, was ich denn da für Musik hören würde. Meine Antwort, ich hätte unsere Wochenendpläne etwas verändert und wir würden 36 Stunden lang Kirchenlieder hören, löste fast dieselbe Reaktion wie bei Gesa aus. Nach einer Schrecksekunde versprach Martin aber tapfer, dem Projekt eine Chance zu geben. Was er dann auch tat. Am frühen Abend war die ganze Familie im Boot. Und da blieben wir, ausgenommen von Schlafpausen, einem Kaffeebesuch und einem Spaziergang, auch. Als am Sonntagabend/Montagmorgen um 00.15 die letzten Töne von Lied 899 verklungen waren, fühlten wir uns wie Sieger. „Geschafft!“ jubelten wir mit den Beteiligten.

Viel haben wir während der 36 Stunden und auch hinterher darüber diskutiert, was den Reiz dieser Sendung ausgemacht hat, dem übrigens nicht nur wir erlegen sind: NRK meldete 2,2 Millionen Zuschauer. Bei 5 Millionen Einwohnern im Land schon eine beachtliche Zahl. Und die Begeisterung blieb nicht nur innerhalb der norwegischen Grenzen. Das ARD-Studio Stockholm drehte einen Beitrag für den Weltspiegel, aus Südkorea kam ein Fernsehteam angereist und neben Chören u.a. aus Trondheim, Bergen, Oslo und Tromsø gab es auch eine Direktschaltung nach Iowa/USA, wo sich der Chor der First Lutheran Church am Gesangsmarathon beteiligte.

Woher kam die Faszination? Eine berechtigte Frage, denn eigentlich sprach alles für Langeweile: Ein kaum wechselnder Raum, unterschiedliche, aber doch ähnliche Musik, ein paar Moderationen und Interviews – fertig. Aber so einfach war es eben doch nicht. Zuerst die „sportliche“ Perspektive: Da nehmen sich ein paar Fernsehleute vor, das komplette Gesangbuch singen zu lassen – tolle Idee – das schaffen wir. Kollektiver Ehrgeiz sozusagen. Dann die kulturelle Perspektive: Ich habe wirklich viel über Norwegen gelernt an diesem Wochenende. Es waren nicht nur die 899 Lieder, viele von ihnen norwegisches Traditionsgut, andere aus dem Ausland importiert und integriert. Es waren nicht nur die unzähligen Sänger und Dirigenten der insgesamt 200 Chöre, die mit Leidenschaft und Spaß sangen. Es waren nicht nur die Bilder aus verschiedenen Ecken Norwegens oder die Begeisterung, als ich Samstagmorgen plötzlich ein bekanntes Gesicht in einem der Chöre entdeckte.

Es war, als sei man Teil einer Aktion gewesen, die für ein Wochenende einen großen Teil der Bevölkerung in ihren Bann gezogen hatte. Wenn auch völlig unerwartet. Außerdem hatte ich das Gefühl, als sei die Beteiligung VOR dem Fernseher genauso wichtig zum Gelingen wie das Singen der Chöre im Fernsehen. Und wie die Menschen sich beteiligten: Über Twitter und per Email konnten sich Zuschauer mit Fotos oder Nachrichten melden. Da saßen dann Freitagabend Studenten mit Taco und Kerze vor dem Fernseher, ein älteres Ehepaar sang immer im Wechsel vorm Fernseher mit, Samstagmorgen schickten Familien Fotos vom Frühstückstisch während Amazing Grace im Hintergrund erklang, Oystein schickte per Twitter Grüße an seinen Onkel Asbjørn, der gerade seinen großen Auftritt mit dem Chor hatte. Simon lernte für Matheexamen und fand, dass Kirchenlieder dazu prima passten. Andere waren kurz davor Amok zu laufen, sollten sie noch ein einziges Chorlied hören.

Ein landesweites Phänomen.

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Klar ging es vor allem auch darum, zu sehen und gesehen zu werden. Deswegen zeigten die Kameras alle Sänger, Musiker und Dirigenten in Großaufnahme, deswegen saßen Verwandte, Freunde und Arbeitskollegen vor dem Fernseher, deswegen war die Trondheimer Kirche so gut besucht, deswegen schickten Zuschauer Fotos und Kommentare. 15 minutes of fame. Ja, vielleicht. Vielleicht aber wirklich nur der Wunsch, an etwas Besonderem beteiligt zu sein. Und darum zu singen. Und zu singen und zu singen. Musik verbindet.

Was wird sich nun ändern? WIRD sich etwas ändern? An Tag 1 nach dem Marathon hörte ich zwei Frauen im Buchladen nach Gesangbüchern fragen. Bei Twitter suchten Zuschauer nach den Kontaktadressen bestimmter Chöre und auf Facebook wurde überlegt, mal wieder häufiger in die Kirche zu gehen. Alles wegen NRK Minutt for Minutt Salmeboka. Ob die Verantwortlichen überhaupt etwas verändern wollen, weiß ich natürlich nicht. Und ob das norwegische Fernsehen Interesse daran hat, die norwegischen Kirchen oder Chöre zu füllen, weiß ich auch nicht. (Obwohl mich gerade die Zusammenarbeit zwischen NRK und Kirche ein bisschen irritiert hat.)

Ich hatte auf jeden Fall ein ungewöhnliches, musikalisches, kulturelles und irgendwie patriotisches Wochenende. So verrückt es auch klingt, aber 36 Stunden Chorgesang waren ein echtes Erlebnis!

***

So, das war es schon für heute, meine lieben Leser. Ich wünsche Euch allen eine tolle Woche, genießt den dritten Advent und macht es Euch gemütlich. Meine wöchentlichen Grüße gehen diesmal an alle Omas und Opas da draußen: Was wären wir alle ohne Euch!!! Ich kann zum Beispiel heute mal wieder vormittags meinen Blog schreiben, weil meine Mutter mit Gesa durch den Park schiebt. Und das ist klasse 🙂 Macht es gut, liebe Leser, bis nächsten Freitag…

Ha det bra,

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Ulrike

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Norwegische Nationalgerichte aus Ulrikes Küche ODER Heute gibt es Rømmegrøt!

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Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann folgt ein bestimmtes: „Gut, dann esse ich Brot heute oder hol‘ mir eine Pizza.“ Martin, mein unerschrockener Partner in allen kulinarischen Lebenslagen, lässt mich im Stich. Und das nur, weil ich angekündigt hatte, ein neues Rezept auszuprobieren.

Hallo, meine lieben hungrigen Leser und willkommen in meiner Küche! Schön, dass wir uns hier wieder treffen. Der Blog geriet ein bisschen sehr persönlich in den letzten Wochen und da ich vermute, dass sich viele nicht unbedingt für Neues vom Mammayoga sondern für Neues aus Norwegen interessieren, musste mal wieder ein typisch norwegisches Thema her. Dachte ich so. Nur was? Die Auswahl ist so groß! Wie immer, wenn ich mich nicht entscheiden kann, esse ich eine Kleinigkeit, das hilft ungemein beim Denken und so komme ich nach nur drei Erdbeeren auf die Idee, mal wieder ein norwegisches Nationalgericht zu kochen.

Gesagt, getan. Mein erster Weg führt mich also in die Majorstuen-Filiale der Deichmanske Bibliothek auf der Suche nach meinem Lieblingsbuch…

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…das ich mir aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht gekauft habe. Ich blättere also durch die bekannten Seiten auf der Suche nach einem unbekannten Gericht. Auf Seite 90 werde ich fündig:

Rømmegrøt!!!

Ich habe immer nur davon gehört, es aber weder selbst gegessen noch gekocht, aber es scheint das zu sein, was ich suche, denn mein Buch schreibt: „Rømmegrøt hører til blant de norske nasjonalretter.“ Die weiße Masse gehört also zu den Nationalgerichten des Landes. Zwei Rezepte werden angeboten: Eines aus dem südlichen Trøndelag, wo meine Lieblingsstadt Trondheim liegt…

und eines aus dem südlicher gelegenen Sogn und Fjordane…

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…an der Westküste mit dem Namen Rømmegrøt aus Sogn und Fjordane.

Der Unterschied zwischen den beiden Rezepten besteht darin, dass im Trøndelag nur Rømme, Milch und Mehl verwendet werden, an der Westküste werden noch gryn (Hartweizengrieß) und Ei zugegeben. Hm. Hört sich vielversprechender an, finde ich und entscheide mich für das zweite Rezept. Guter Dinge verabschiede ich mich aus der Bibliothek und mache mich auf den Weg zum Supermarkt. Meine Einkaufsliste ist kurz, aber ungewöhnlich:

Hartweizengrieß

Eier

Milch

Rosinen

Schinken

Zimt

und natürlich Rømme.

(An dieser Stelle ein dickes Danke an meine Freundin Eva, die mir gestern dern Trick verraten hat, wie ich auf einer deutschen Tastatur das norwegische „ø“ tippe. Alt plus 155. Genial. Gerade heute, wo ich gefühlte 1000 Mal Rømmegrøt schreibe. DANKE!!!)

Rømme also.

„Himmel, was ist denn dieses Zeug, von dem sie die ganze Zeit schreibt??????“, höre ich Euch Nicht-Norweger genervt rufen.

‚Tschuldigung.

Da muss man ja nicht gleich so laut werden.

Ich bin sensibel.

*schmollt*

HätteschonnocherklärtwasRømmeististjawohlklaraberesgehtjnichtimmeralles-

sofortsoeinArtikelfolgtjaaucheinemrotenFadendenmussmanbeachtenmenno.

*schmollt*

Ok, fertig geschmollt!

Rømme gibt es nur in Norwegen und kann am ehesten mit Creme fraîche verglichen werden, aber das trifft es genauso wenig wie das norwegische Kesam und deutscher Quark dasselbe sind. Die weiße Masse wird aus Sahne oder einer Mischung aus Vollmilch und Sahne hergestellt, die dann mithilfe von Baktierenkulturen angesäuert wird. Normale Rømme hat einen Fettgehalt von 18-20%, die sogenannte Seterrømme liegt bei hüftfreundlichen 35%.

Ratet, welche ich verwenden werde?

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Was sonst?

Rømme hat eine dicke Konsistenz und riecht säuerlich-frisch. Ähnlich wie Creme fraîche wird es in unterschiedlichen Rezepten verwendet, aber gern auch als Dip oder auf Waffeln. Anders als Creme fraîche dient es in Norwegen aber auch als Grundlage für eine komplette Mahlzeit. Als ich das erste Mal davon hörte, stellten sich meine Nackenhaare auf. Warme „Creme fraîche“ mit Mehl und Milch???

Nein, danke.

Aaaaber, Ansichten ändern sich ja und nun stehe ich also in meiner Küche und breite meine Schätze vor mir aus.

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Das Rezept ist mehr als einfach. Seterrømme in den Topf, drei Minuten kochen lassen, Hälfte des Mehls dazu, kräftig rühren. Fünf bis zehn Minuten weiter kochen lassen, bis sich eine Schicht flüssiges Fett absondert. Die abschöpfen und warm stellen. Ei und Milch verrühren. Zusammen mit dem Hartweißengrieß und dem restlichen Mehl in den Topf und auf schwacher Hitze für eine Stunde köcheln lassen. Mit Rosinen, Zucker, Zimt, gehacktem Ei, Schinken und flatbrød (superdünnes Knäckebrot) servieren.

Es schüttelt mich ein bisschen.

Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Zaudern ist der Dieb der Zeit und überhaupt…los jetzt!

Nach einigen Minuten blubbert die Rømme fröhlich im Topf und ich füge „1 dl Mehl“ hinzu. Witzig, oder? Die Skandinavier messen Mehl in Deziliter und um das auch abmessen zu können, gibt es ein Set von kleinen Löffeln. Hatte ich mir vor Monaten gekauft, aber noch nie benutzt. Nun ist es dran. Ab mit dem Mehl in die Blubbermasse und aufs Fett warten.

Kennt Ihr das? Man wartet darauf, dass Wasser kocht oder Nudeln gar werden oder die Pizza schön golden braun und je länger man zuguckt, umso langsamer scheint es zu gehen. So auch diesmal. Die Masse blieb weiß. Deckel drauf, mein Reh auf 7 Minuten gestellt und stattdessen Ei gepellt. Nun ein guter Tipp von mir: Habt Ihr jemals Rømme und Mehl zusammen in einem Topf lasst es nicht – ich wiederhole: NICHT! – für mehrere Minuten unbeaufsichtigt.

Interessanter- und unerwarterterweise brennt das verfluchte Zeug nämlich an.

Fluchend wechsle ich Töpfe und lasse die Blubbermasse nicht mehr aus den Augen.

Aber dann ein Erfolg: Ein kleines Fettrinnsal zeigt sich am Blubbermassenrand. Eureka!!!! Ich warte noch einen Moment und schöpfe den Fettfluss dann mit einem Löffel ab. Das heben wir auf für später! Der Geruch aus dem Topf ist….sagen wir es höflich….ungewöhnlich. Aber ich mache weiter. Die restlichen Zutaten in den Topf und schwach köcheln lassen für eine Stunde.

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Eine Stunde? Pffffff….was mache ich denn eine Stunde lang?

Zuerst die Küche aufräumen. Ich hasse unordentliche Küchen oder Arbeitsflächen. Im Harbour House Restaurant in Kanada und in einem meiner Lieblingsanimationsfilme Ratatouille habe ich gelernt: „Always keep your work station clean!“ Es gibt Leute, die kochen und schaffen es hinterher zu essen, obwohl die Küche aussieht wie nach einem Wirbelsturm. Kann ich nicht. Putz, putz. Widerstrebend entsorge ich den Milchkarton in der Altpapiertasche. Daran werde ich mich hier in Norwegen nie gewöhnen: Getränkekartons sollen ins Altpapier! Aber der Deckel, der kommt in den gelben – hier in Norwegen blauen – Sack. Unsinnig.

Ich rühre um und etwas Erstaunliches passiert: Ich bekomme Appetit, die Blubbermasse zu probieren. Hilfe! Schnell wieder Deckel drauf. Noch 45 Minuten.

Mein Magen gluckert. Um mich abzulenken, greife ich zum Strickzeug – auch hier bin ich gerade ganz norwegisch und stricke aus dem Buch meiner Lieblingsstricknorweger Arne und Carlos Strikk fra Setesdal. Himmel, bin ich heute häuslich – das scheint die Nestphase zu sein! Ran an die Nadeln und weiter am Bein gestrickt:

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Plötzlich klingelt mein Reh.

Ich gucke verwirrt.

Meine Reh-Küchenuhr scheint ins Wochenende zu wollen, denn es können unmöglich schon 60 Minuten vergangen sein. Doch, laut Reh schon. Ich werde misstrauisch und stelle das Reh auf 15 Minuten.

5 Minuten später klingelt es mir freundlich entgegen.

Hilfe, mein Reh ist kaputt!!! Das war eine Tchibo-Sonderedition, das bekomme ich nie mehr, das geht doch nicht!!! Ich stelle es in eine dunkle Ecke zum Beruhigen und hoffe auf ein Wunder. Die Blubbermasse sieht nicht viel anders aus als zu Beginn. Ok, noch 30 Minuten, entscheide ich. Whatever. Rühr, rühr, Magen knurr.

30 Minuten später hat der Strickbär ein zweites Bein und ich habe richtig Hunger. Das Rømmegrøt-Zubehör steht bereit…

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und ich werfe einen letzten Blick auf das Foto im Rezeptbuch.

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Blubbermasse auf den Teller, warmgestelltes Fett an den Rand, gehacktes Ei darüber, Rosinen verteilen und abschließen mit Zucker und Zimt. Auf einem extra Teller: Schinken und flatbrød.

Mein Magen schweigt plötzlich stille und skeptisch sitzen wir gemeinsam vor unserer Kreation. Immerhin sieht es aus wie auf dem Foto. Schluck.

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Here goes nothing, denke ich. Und: Geronimo!

Ich greife entschlossen nach dem Löffel und beginne zu essen. Meine Geschmacksnerven reagieren verwirrt auf die ungewohnte Mischung, trauen sich aber weiter raus, werden mutiger, beginnen zu entdecken und dann:

LECKER!!!!!!

Der säuerliche Geschmack der Rømme zusammen mit dem Ei und den Rosinen ist köstlich! Mit einem Stück Schinken wird es sogar noch besser. Und das flatbrød nimmt den Fettgeschmack ein bisschen weg! Das gibt es doch nicht, das ist richtig, richtig, richtig lecker!!

Für ungefähr 6 bis 8 Löffel voll. Dann schlägt das Fett zu und mein Magen sendet Bitte um Nothalt. Ich bin schon satt. Aber ganz glücklich. Was für eine Entdeckung. Nächstes Mal koche ich eben die nur die Hälfte. Ich stelle den Rest vom Rømmegrøt später in den Kühlschrank – neben die Fischbuletten, die Martin heute Abend bekommt.

Ich bin ja kein Unmensch 🙂

Vielleicht habt Ihr Lust bekommen, das norwegische Nationalgericht nachzukochen. Hier das Rezept:

1 l seterrømme

2 dl Mehl

5 Esslöffel Hartweizengrieß (gryn)

1 Ei

½ l Milch

Beilage: Rosinen, gehacktes Ei, geräucherter Schinken, Zimt und Zucker, flatbrød.

Zubereitung: Seterrømme in den Topf, Deckel schließen, drei Minuten bei kochen lassen, Hälfte des Mehls dazu, kräftig rühren. Fünf bis zehn Minuten weiter kochen lassen (Deckel drauf!), bis sich eine Schicht flüssiges Fett absondert. Die abschöpfen und warm stellen. Ei und Milch verrühren. Zusammen mit dem Hartweißengrieß und dem restlichen Mehl in den Topf und auf schwacher Hitze für eine Stunde köcheln lassen. Mit Rosinen, Zucker, Zimt, gehacktem Ei, Schinken und flatbrød (superdünnes Knäckebrot) servieren. Vel bekomme!

***

Das war es für heute, meine lieben Leser! Ich wünsche Euch allen eine tolle Woche mit viel Sonne, neuen Eindrücken und ganz viel Lachen. Und immer daran denken: Nach dem Motto „Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht“ zu leben, verhindert vielleicht die leckersten Überraschungen.

Ha det bra,

Rommegrot

Ulrike

 

 

 

 

Mein Reisetagebuch aus Trondheim oder Ich glaube, ich hab mich verliebt…

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Dreierbeziehungen sind zum Scheitern verurteilt. Jaja, angeblich hatten Psychoanalyst Carl Jung und seine junge Patientin den halbherzigen Segen von Jungs Ehefrau Emma und angeblich lebte Autor Aldous Huxley fröhlich mit Ehefrau und Mätresse, aber diese rebellischen Ausnahmen von der bürgerlichen Norm bestätigen mich nur darin: Drei sind einer zu viel – und das stellt mich vor die entscheidende Frage: Oslo oder Trondheim?

Hallo meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen und entschuldigt, dass ich mich Freitag,  an unserem Tag, nicht gemeldet habe. Ich saß laptoplos in Trondheim und habe meinen Tag mit Kaffee trinken, Museumsbesuch und Kino in meiner neuen Liebe verbracht.

Ja, denn ich muss gestehen: Ich habe mich verliebt.

In Trondheim.

Das ist besonders unangenehm, da ich ja Oslo im letzten Blog eine Liebeserklärung gemacht habe. Bin ich nun einfach eine verdammt untreue Seele? NEIN! Vielleicht lässt es sich so erklären: Oslo kenne ich viel besser und die Stadt ist mir natürlich viel näher als die Neueroberung, der Two-Nights-Stand, Trondheim. Ich muss mich auch nicht entscheiden zwischen den beiden, denn es sieht nicht danach aus, als würden wir nach Trondheim ziehen. Alles also gar nicht so schlimm. Nun habe ich meine moralischen Urban-Sünden gebeichtet, mir Luft gemacht und nun kann es losgehen mit meiner Beschreibung der letzten drei Tage!

Dienstag, 2. 4. 2013, 22 Uhr, Oslo

Es gibt schönere Orte als den Osloer Hauptbahnhof um 22 Uhr, aber mit Cheesebites und Kaffee lässt sich das Treiben entspannt beobachten. Der Nachtzug Richtung Trondheim steht schon eine Stunde vor Abfahrt bereit, Hallelujah, und hinein da. Mir steht eine schlaflose Nacht bevor, aber nur halb so schlimm, es hat einen besonderen Reiz in frisch gestärkter Bettwäsche auf einem gemütlichen Etagenbett durch die Nacht zu ruckeln.  Und die Gedanken ruckeln gleich mit…

Ich reise gern. Nur  für ein paar Tage an einem Ort zu sein und ihn dann auf meine Art und Weise zu entdecken. Niemanden zu kennen, aber sich Orte zu schaffen, die langsam bekannt werden. Überall etwas Besonderes zu suchen und zu finden. Ganz viel will ich in die kommenden Tage stecken und bin jetzt schon hibbelig mir einen Stadtplan mit den Highlights bei der Touristeninformation zu holen. Abends werden dann die besichtigten Höhepunkte der Stadt abgehakt. Doch, wirklich, ich mache das. Da gibt es nicht zu rütteln. Es ist stärker als ich.

Ruckel, ruckel…Ich liebe es, unterwegs zu sein. Diese Stimmung auf der Fahrt, weg vom Alltag und seinen alltäglichen Problemen und Gedanken, aber noch nicht ganz da am neuen Ort. Irgendwie dazwischen. Und nirgends. Ruckel ruckel ruckel….Norwegen zieht an mir vorbei. Noch vier Stunden Fahrt. An Schlaf ist leider wirklich nicht zu denken, also lese ich, passend im Titel, Hape Kerkelings  „Ich bin dann mal weg“.

Mittwoch, 3. 4. 2013, 6.50 Uhr, Trondheim

Ich muss mir endlich wieder eine Brille anschaffen! Meine Augen taten heute Morgen, als wären ihnen Kontaktlinsen völlig unbekannt und so stehe ich mit knallroten Heulaugen auf dem Bahnsteig. Mein Elend wird von gutgelaunten Bauarbeitern gelindert, die, mit Körben voller Süßigkeiten bewaffnet, uns Neuankömmlinge begrüßen. Das ist ein Empfangskomitee nach meinem Geschmack.

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Noch habe ich keinen Blick für die Stadt, das Meer oder die schneebedeckten Hügel. Ich will ins Hotel und schlafen. Das Clariton Bakeriet ist unser temporäres Zuhause. In der umgebauten Bäckerei werden wir freundlich begrüßt und zu meinem großen Jubel ist tatsächlich schon ein Zimmer bereit. Ich sah mich schon bis um 12h heimatlos in Trondheim sitzen, aber nein, Zimmer 500…here we come! Nach einem erholsamen Schlaf bin ich bereit, die Stadt zu entdecken. Noch planlos ziehe ich in den sonnigen Vormittag, vorbei an flachdachigen, bunten Holzhäusern auf der Suche nach einem Café, denn ohne Kaffee läuft nichts. Meine Füße schon gar nicht. An einer Straßenkreuzung finde ich, was ich suche: Das Café Dromedar. Das über die nächsten Tage mein zweites Zuhause wird. Mein Fensterplatz erlaubt freie Sicht auf das Treiben der Stadt und ich frage mich, warum ich das hier jetzt schon so nett finde. Ich meine, mal ehrlich:  Ich gucke auf ein Rema 1000, den norwegischen Aldimarkt, eine Bushaltestelle und das imposante Gebäude der Danske Bank. Gaaanz toll, Ulrike, wirklich! Manchmal habe ich sie irgendwie nicht alle. Ich bestelle lieber noch einen Kaffee bei der Angestellten mit dem Dromedar-Tattoo am rechten Handgelenk. Ob die Angestellten hier gebrandmarkt werden nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages? Ich gebe mal vorsichtshalber ein großzügiges Trinkgeld und hoffe, die Ausbeutung der Arbeitskräfte zu stoppen. Obwohl sie eigentlich ganz fröhlich wirken.

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Jetzt aber, los! Wo ist die Touristeninformation? Ein Schild führt mich Richtung Torget, zum Markt. Hört sich vielversprechend an. Wie ein Trüffelschwein auf heißer Spur wandere ich los. Der Marktplatz ist unspektakulär, eingerahmt von Einkaufszentren, gelben Holzhäusern und….AHA, dort an der Ecke in einem orangen Haus…die Touristeninformation. 1:0 fürs Trüffelschwein! Beim Fotografieren der imposanten Statue auf dem Platz werfe ich einen ersten Blick auf die Kathedrale. Wie die genau heißt und wer das auf der Statue ist, weiß ich noch nicht, aber gleich bin ich schlauer. Voller Wissensdurst stürme ich die Touristeninformation.

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Das auf der Statue ist Olav Tryggvason, Wikingerkönig und Gründer Trondheims 997 n. Chr.  Lese ich kurze Zeit später und hake Nummer 18 in meiner neuen Broschüre ab.  Die Nidaros-Kathedrale verschiebe ich wegen der kurzen Winteröffnungszeiten auf den nächsten Tag. Bei einem zweiten Kaffee in einer charmanten Außenstelle des Dromedars in der Nordre Gate plane ich den heutigen Tag. Trondheim ist die ehemalige norwegische Hauptstadt, lese ich im Stadtführer, und bietet mehr als 1000 Jahre Geschichte. Sie ist die drittgrößte Stadt Norwegens mit knapp 180.000 Einwohnern und liegt im Bezirk Sør-Trøndelag an der Mündung des Nidelven, des Nid-Flusses. Trondheim ist Universitätsstadt und der Großteil der 30000 Studenten ist an der Technischen Universität Trondheim, der NTNU, eingeschrieben. Die umgebenden Wälder, der Trondheimfjord und der Nidelven, der die Stadt umfließt, geben der Stadt „a unique flavour of metropolitan life and undisturbed nature.“

Metropole und Wildernis  vereint? Ich bin gespannt.

Auf meinen Plan für heute kommt die Altstadt oder Bakklandet und Svartlamon, eine Ökostadt im Aufbau. Keine Ahnung was das bedeutet, hört sich aber irgendwie spannend an. Los geht es! Zu Fuß, das Wetter ist gut und ich laufe gern. Ein Blick auf meinen noch jungfräulichen Stadtplan weist mich nach Osten und ich wandere los. Nun bin ich nicht gerade für meinen Orientierungssinn berühmt. Nach 30 Minuten bemerke ich also erst, dass ich seit etwa 20 davon in die falsche Richtung wandere. Unter einer ökologischen Teststadt konnte ich mir zwar nichts vorstellen, aber ich bezweifele, dass Dönerbuden und Expressreinigungen, Videoshops und Sonnenstudios dazugehören.

AHA! Fehler gefunden, ich hätte an dieser Kreuzung hier…nee hier… nee Quatsch hier…also irgendwie bin ich falsch. Egal, wenigstens habe ich so den Stadtteil Buran auch kennengelernt, weiß, wo der Bus zum Flughafen abfährt, mache ein Foto von der Lademoen Kirche und gehe zurück. Bald stehe ich vor einer gigantischen Baustelle. Auf der anderen Seite soll die ökologische Siedlung auf mich warten, die mir langsam auf die Nerven geht.  Ökologisch hin oder her, ich habe jetzt keinen Bock mehr und überhaupt, wie doof ist das, meinen ersten Tag auf Baustellen und in unspektukalären Vororten zu verbringen. Ökostadt ade! Altstadt, ich komme.

Weise Entscheidung, denke ich wenige Kilometer weiter, als ich von gemütlichen Holzhäusern umrahmt einen ersten Blick auf die Kathedrale werfe.Im dritten „Dromedar“-Kaffee in Nedre Bakklandet  spendiere ich mir zur Belohnung wenigstens die Altstadt gefunden zu haben, einen weiteren Kaffee.

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Dann begebe ich mich auf die Suche nach einem DER Highlights der Stadt: Sykkelheis.

Nun lasse ich Euch einen Moment rätseln.

Allen Hildesheimern sage ich: Den sollten sie am Krehlaberg bauen!!

Hier noch ein Tipp:

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Ein Fahrradfahrstuhl, ja!

Genau habe ich das System nicht verstanden und leider konnte ich auch keinen Radfahrer auftreiben, der unbedingt diesen Berg hochwollte. Eine Schiene scheint Reifen und Fahrer den Berg hochzuschieben, wie man dabei allerdings die Balance halten soll, ist mir schleierhaft.  Lustig ist es auf alle Fälle. Der guten Aussicht wegen wanderte ich den Berg hinauf und sah, völlig aus der Puste, die Festung von Trondheim zum Greifen nah. Die stand zwar für heute gar nicht auf meinem Programm, aber wenn sie sich so aufdrängt…

Kurze Zeit später stehe ich bis zu den Knöcheln im Schlamm. Authentizität ist wichtig, scheint das Motto der Festung zu sein und vor 1000 Jahren gab’s ja schließlich auch keine Asphaltwege, oder?? Also, durch da und nicht gemeckert. Meine linke Socke ist schon mal nass. Das winterliche Tauwetter tut dem steilen Weg nicht wirklich gut und ich wandere über faulendes Gras und Schlamm dem Eingang entgegen. Immerhin ist die Besichtigung kostenlos. Will ich auch hoffen, ich habe immerhin schon ein Paar Socken geopfert. Die Aussicht von hier oben ist wunderbar und ich beschließe auf jeden Fall im Sommer wieder zu kommen, die Menge von Bäumen und Parks muss aus Trondheim ein grünes Meer machen.

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In der Nähe bewundert eine Familie den weißen Festungsbau. Deutsche, das erkenne ich sofort, von Kopf bis Fuss in Jack Wolfskin gekleidet. Die Deutschen und ihre Liebe zur Wolfs-Tatze ist ein in Europa einmaliges Phänomen. (Update vom 3. 10. 2013: Und fällt auch in Schweden auf. Seht hier!) Gut, die Franzosen mögen Quechua und die Skandinavier Fjällräven. Aber wie sich selbst die wanderfaulsten Deutschen von Kopf bis Fuß in Outdoor-Kleidung stürzen, sobald sie einen Sonntagsspaziergang im Stadtpark unternehmen, das ist einmalig. Und wiedererkennbar. Als ich noch leise in mich hineinlache, höre ich auf plötzlich auf Deutsch: „Entschuldigung, wissen Sie, ob das Kaffee heute noch öffnet?“ Erstaunt blicke ich den Jack-Wolfskin-Vater an und sage: „Nein, das weiß ich leider nicht.“ Als er sich dankend verabschieden will, frage ich: „Wie kommen Sie darauf, dass ich Deutsch spreche?“ Lächelnd antwortet er: „Wegen Ihrer Handtasche. Jack Wolfskin tragen irgendwie nur Deutsche.“

Zack!

Zurück im Hotel versorge ich mich mit trockenen Socken. Den Abend habe ich für mich und beschließe ins Kino zu gehen. „Les Misèrables“ läuft im Nova-Kino, den wollte ich schon seit Ewigkeiten sehen. Ich liebe die Musik, habe das Musical in London gesehen und halte das Duo Boublil/Schönberg für so viel besser als Webber/Rice. Hugh Jackman und Anne Hathaway sehe ich beide gerne, wer sonst mitspielt, weiß ich gar nicht so genau, ich lasse mich überraschen. Das wird schön! Nach 10 Minuten Film muss ich sagen: Nein, das wird es nicht. Hugh Jackman spielt sich die Seele aus dem Leib, singt dabei aber noch ganz verständlich, auch wenn das Rotzen teilweise etwas stört. Mit dieser Darstellung erinnert er mich eher an Wolverine, dessen Adamantium langsam und schmerzhaft schmilzt, als an Jean Valjean. Anne Hatheway treibt mich zu Tränen und bekam ihren Oscar anscheinend auch für ihren Mut derartig roh in die Kamera zu singen. Mir standen die Haare zu Berge, wow. Und dann kam die Überraschung des Abends, der Schreck aus down under, der Gladiator der Nicht-Sänger: Russell Crowe als Javert. Ich muss das nochmal schreiben: Russell Crowe als Javert. Er tut mir fast leid.

Ich kämpfe mich durch den Film, heule am Ende dann doch und nur die urplötzlich reinknallende Saalbeleuchtung erlöst mich aus diesem Alptraum. Ich wackele zurück ins Hotel und Martin und ich lassen den Tag gemeinsam ausklingen. Gute Nacht, Trondheim!

Donnerstag, 4. April 2013, Trondheim

Das Frühstück ist köstlich. In der alten Backstube ist der Speisesaal des Hotels untergebracht, alles ist lichtdurchflutet und freundlich. Trondheim zeigt sich auch in bester Laune, die Sonne strahlt. Ich habe mich von Les Misèrables erholt und freue mich auf die Kathedrale. Martin ist begeistert von seinem Workshop und beschreibt den wunderbaren Ausblick vom Statoil-Büro direkt auf den Trondheim-Fjord. Er schlägt mir vor, das Rockheim-Museum zu besuchen, aber mir ist heute eher nach Geschichte. Wir verabreden uns für abends im Hotel. Gestern habe ich überlegt, ob ich immerzu unterwegs sein könnte. Ja, unter einer Bedingung: Martin wäre dabei.

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Speisesaal im Clariton Bakeriet /nordicchoicehotels.no

An der Wetterfront gab es eine Überraschung – aus dem strahlenden Sonnenschein ist dicker Schneefall geworden. Ich gehe zurück aufs Zimmer, um doch die Winterstiefel anzuziehen. Kurze Zeit später stehe ich im strahlenden Sonnenschein, ohne Schnee, auf der Straße. Es ist April, aber so richtig. Egal, lasse ich die dicken Botten eben an. Mein erster Weg führt mich direkt ins Dromedar und als ich an meinem Stammplatz am Fenster sitze, passiert etwas Merkwürdiges: Ich habe das Gefühl, ich wäre schon ewig hier in Trondheim. Alles wirkt vertraut und, ja , ein bisschen wie Zuhause. Verrückt, ich bin doch erst einen Tag hier. Die Stadt erinnert mich in ihrem Aufbau und ihrer Größe, der Lage am Wasser mit den schneebedeckten Hügeln dahinter ein bisschen an Victoria in Kanada. Vielleicht deshalb das heimelige Gefühl.  Trondheim hat definitiv etwas, das mich anspricht. Mehr als Oslo, mehr als Stavanger. Hier passe ich irgendwie hin.

Nun aber Kultur. Auf zur Kathedrale!

Trondheim13

Die Kathedrale und ihre Winteröffnungszeiten warten auf mich. Ambitioniert kaufe ich gleich ein Kombiticket, um die Kathedrale, den Erzbischofspalast und die Kronjuwelen in einem Rutsch abzuarbeiten. Die Kathedrale liegt auf dem Südteil der Midtbyen-Halbinsel, gegenüber der Altstadt. Im Mittelalter und von 1818 bis 1906 war sie die Krönungsstätte norwegischer Könige. Danach wurde die Krönung als veraltet abgetan und der entsprechende Paragraph aus dem norwegischen Grundgesetz gestrichen. König Olav V., Vater des jetzigen Königs Harald, nahm die Tradition der Segnung in der Kathedrale von Trondheim 1958 wieder auf. Auch König Harald und Königin Sonja ließen sich auf eigenen Wunsch 1993 in Trondheim segnen. Die Kathedrale ist beeindruckend, aber anscheinend bin ich heute nicht in Stimmung für dunkle Gebäude und graue Steinwände. Nach einer Runde bin ich wieder draußen. Es schneit dicke Flocken und ich rette mich in das Museum des Erzbischofspalastes. Hier sind Originalteile der Kathedrale zu bewundern und der Ausbau der Kathedrale wird anschaulich dargestellt. Nächster Stop: Kronjuwelen.

Ich weiß ja nicht, ob Ihr es schon wusstet, aber ich liiiiiiebe Königshäuser und den damit verbundenen Pomp und Klatsch. Nun also vor den norwegischen Regalien zu stehen, ist aufregend für mich.

Ja, ja, ich weiß, ich hake ja auch Sehenswürdigkeiten in Stadtführern ab.

Die Herrschaftszeichen Norwegens bestehen aus drei Kronen (für König, Königin und Kronprinz), zwei Zeptern und Reichsäpfeln, dem Reichsschwert und dem Salbungshorn. Fotos darf ich nicht machen, aber die wären in der schummerig beleuchteten Museumshöhle wohl eh nichts geworden. Die Kronen sind wunderschön, die Königskrone mit Amethysten, einem Topas und vielen Perlen verziert. Die Krone der Königin ist kleiner und mit 1578 Perlen verziert.

Ich habe nachgezählt, na klar!

Mein Abschied vom Museum fällt schwer – draußen tobt ein mittlerer Schneesturm.

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Aber das Museum schließt in 30 Minuten, also raus in den Schnee. Nach wenigen Minuten kehrt die Sonne zurück und ich wandere beschwingt weiter durch die Stadt. Richtig erkunden kann man einen neuen Ort wirklich nur zu Fuß. Nur so ist man richtig spontan. Ich wandere am Rathaus vorbei, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Schloss in Oslo hat und stoppe kurz bei der Go’dagen-Statue am Marktplatz. Meinem Stadtführer zufolge stand eine Frau Modell, die nach Trondheim kam, um als Dienstmädchen zu arbeiten. Nachdem sie in Ruhestand war, verbrachte sie ihre Tage gern am Marktplatz und begrüßte alle, die an ihr vorbei kamen, mit einem freundlichen „God dag!“ Den Namen der Frau konnte mir niemand sagen. Ich nenne sie also Fru Ella, weil mir das gut gefällt. Trondheim hat sich mittlerweile in einen schneebedeckten Traum verwandelt und ich beschließe ein bisschen wandern zu gehen. Es soll einen wunderschönen Spazierweg im Stadtteil Ila geben, also springe ich spontan in einen Bus und lasse mich überraschen.

In Ila schneit es so dicke Flocken, dass ich den Fluß, an dem der Wanderweg entlangläuft, gar nicht erkennen kann. Aber ich höre ihn neben mir gluckern und stapfe durch die Winterpracht. Die Leute müssen denken, ich habe einen an der Waffel. Aber ich hatte ein Bild mit einer Holzbrücke in einem Park gesehen und die will ich jetzt finden.

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Ein wirklich toller Weg, der im Sommer eine wahre Freude sein muss, ebenso wie der Park in Ila. Eine Gruppe von Vorschülern und ich haben auf jeden Fall viel Spaß am Schnee und beim Rutschen auf der eisglatten Treppe. Oben angekommen habe ich, vermutlich, einen tollen Ausblick auf den Fjord, leider sehe ich außer tanzenden Schneeflocken gar nichts. Ich rutsche vorsichtig die bergige Straße herunter und werde von einem Jogger überholt, der sich sicher auf dem rutschigen Untergrund bewegt.

Angeber!

Für heute ist es genug. Zurück geht es ins Hotel, wo erst selbstgemachte Waffeln und dann ein leckeres Abendbüffet warten. Alles im Preis inbegriffen. Tolles Hotel, ich sag es ja. Morgen plane ich das Trondheim Museum, die Hurtigruten und einen kleinen Shoppingtrip mit Martin ein. Abends gehen wir ins Kino und essen. Um 23 Uhr geht unser Zug nach Oslo. Für heute: Gute Nacht, Trondheim!

Freitag, 5.4. 2013, immer noch Trondheim

Happy Birthday Britta!! Ich schicke schon mal telepathische Geburtstagsgrüße an meine liebe Freundin nach Hildesheim. Geburtstagswetter herrscht auch: Sonne pur!! Fast verwerfe ich den Museumsplan, denn das Wetter lockt mehr zum Wandern. Nach einem obligatorischen Kaffee im Dromedar, führt mich der Weg aber zum Hafen. Die Hurtigrute, das kultige Postschiff, das die norwegische Küste entlangfährt, legt um 12 Uhr von Trondheim ab. Da muss ich doch ein Foto machen. Die Hafengegend um Brattøra ist eine große Baustelle, die Ausschilderungen kompliziert, aber irgendwann stehe ich vor dem rotweißen Postschiff mit dem Namen Kong Harald. Seit 1893 verbindet die traditionelle Postschifflinie auf über 2700 Kilometern die Orte an der norwegischen Westküste. Längst sind die alten Postschiffe zur Touristenattraktion geworden und befördern nun neben Post und Waren auch Passagiere. Ich sitze im strahlenden Sonnenschein auf dicken Felsen am Strand und genieße die Aussicht und winke der Kong Harald bei der Abfahrt zu.

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Ein älterer Herr steht samt Fahrrad am Kai und winkt ebenfalls dem Schiff nach, als es gemächlich den Hafen verlässt. Jeden Tag tue er das schon, erzählt er mir. Man brauche eben Rituale und das hier wäre seins. Einmal hätte er die Reise gemacht auf der Hurtigrute gen Norden und wüsste, wie viel Schönes die Passagiere sehen werden. Damit radelt er davon und lässt mich mit meinem Fernweh allein. Ich will auch sofort auf das Schiff!!!

Stattdessen wandere ich ins Trondheim Kunstmuseum. Der untere Teil des wird gerade für eine neue Ausstellung vorbereitet, für den halben Preis komme ich also in den Genuss der zweiten Etage, wo gerade Werke der deutschen Künstlerin Mariele Neudecker ausgestellt werden. Der Ausstellungsraum begrüßt mich mit einem Lichterspiel, das den ganzen Raum erstrahlen lässt. Die Kunstwerke sprechen mich an, sind teilweise amüsant, anrührend, verwirrend. Das Konzept der Ausstellung ist klar und verständlich,  besonders gefällt mir das Nebeneinander von Alter und Moderner Kunst. Um das Finden von Gemeinsamkeiten gehe es dem Museum, informieren mich die Schilder zu den Themen „Macht“, „Landschaft“ und „Auge“.

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Mariele Neudecker 400 Thousand Generations

Ich treffe den Kurator Pontus Kyander im Treppenhaus und er entschuldigt sich für die Umbauten. Ich erkenne ihn wieder aus meiner Touristen-Abhak‘-Broschüre, er ist wie ich ein großer Dromedar-Kaffeehaus- Fan. Das erwähne ich natürlich nicht, sondern bedanke mich für die interessante Ausstellung und verspreche wieder zu kommen.

Dass ich nach Trondheim zurückkomme, steht außer Frage. Ich will diese Stadt, die mir so ungewöhnlich vertraut ist, unbedingt im Sommer erleben.  Ich will die Mönchsinsel besuchen und das St.Olafs-Festival, will die Kathedrale inmitten blühender Bäume sehen und in der Altstadt einen Kaffee vor dem Dromedar trinken. Martin teilt meine Meinung glücklicherweise und wir planen abends beim Inder unseren Sommerbesuch. Vielleicht auch einen Frühlingsbesuch. Und einen Herbstbesuch natürlich. Für jetzt aber heißt es nach drei Tagen aber leider: Tschüß, Trondheim! Bis ganz bald!

Als ich einige Stunden später im Schlafwagen schlaflos durch die Nacht ruckele, mag ich mein Leben mal wieder so richtig: Viel unterwegs sein, immer neue Dinge entdecken, das Ganze mit Martin zu teilen und hinterher darüber schreiben und es mit Euch teilen zu können. Und Oslo erklären, dass sie nun eine Nebenbuhlerin hat, das schaffe ich auch noch. Vielleicht haben Dreierbeziehungen ja doch einen guten Ausgang.

Trondheim26

Das war es für heute, meine lieben Leser. Ein langer Blog ist es geworden, ich hoffe, Ihr habt es bis hierhin geschafft! Solltet Ihr nach Norwegen kommen, besucht Trondheim auf alle Fälle! Ich bleibe nun ein paar Wochen in Oslo, bevor wahrscheinlich im Mai die Fähre nach Deutschland für einen kurzen Trip ablegt. Euch allen wünsche ich eine schöne Woche, lass es Euch gut gehen und habt einfach mal Spaß!

Meine Grüße gehen in dieser Woche an Imke und Kai in Hannover, ich drücke Euch und hoffe, dass ich Euch ein wenig zum Lachen gebracht habe.

Ha det,

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Fru Ella und ich

Ulrike