Winke winke! ODER Sommer ist die Zeit der Abschiede…

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Hier in Norwegen habe ich gelernt, Abschied zu nehmen. Das hört sich jetzt dramatischer an, als es ist. Aber nach drei Jahren, in denen immer wieder liebgewordene Menschen die Stadt verlassen, kann ich sagen: Ich bin ein Abschiedsprofi.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Der Beginn des Sommers ist immer auch ein Ende hier in Norwegen. Nicht einer unserer drei Sommer hat hier ohne Abschiede gestartet.

„Wie denn, was denn, es ist doch so toll in Norwegen, wo wollen die denn alle hin?“ höre ich Euch fragen.

Hier in Oslo, gerade in der deutschen, aber ich vermute auch in anderen ausländischen Gemeinden, ist der Wechsel hoch. Es gibt Menschen, die von vornherein nur für eine bestimmte Zeit in der Stadt sind. Dazu gehören deutsche Au Pairs, die nach ihrem Abitur in Deutschland Lust aufs Ausland hatten. Oder Praktikanten an deutschen Institutionen wie der Deutschen Schule oder der Deutschen Botschaft. Einige absolvieren ein soziales Jahr hier über die Organisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Sie alle bleiben meistens für ein Jahr in Oslo.

Dann gibt es sogenannte „Expats“, Arbeitnehmer, die von ihrer z.B. deutschen Firma für eine gewisse Zeit in eine Auslandsfiliale versetzt werden. Nach meistens vier Jahren ist auch hier ein Wechsel angesagt und die Familien kehren entweder nach Deutschland zurück oder ziehen in das nächste Land. Ähnliches gilt für die Mitarbeiter der deutschen Botschaften. Oder, wie dieses Jahr, für die Pfarrerfamilie der Deutschen Gemeinde. Nach neun Jahren gab es keine Verlängerungsmöglichkeit mehr und Familie Baur ist letzte Woche nach Stuttgart zurückgekehrt.

Dann gibt es natürlich rein persönliche Entscheidungen: Jemand hatte schon immer den Traum, nach Norwegen zu ziehen. Aber irgendwie, irgendwas und überhaupt passt es nicht. Das Heimweh ist groß, die Familie fehlt zu sehr, die Arbeitswirklichkeit hier in Norwegen gefällt nicht. Der oder die Liebste in Deutschland will vielleicht doch nicht nach Oslo nachkommen, der Katze gefällt es hier auch nicht und überhaupt ist alles komisch.

Tja und dann heißt es irgendwann, meistens eben zum Sommer: Tschüß, Oslo.

In den ersten drei Monaten musste ich mich schon von zwei sehr netten Menschen verabschieden und fand das blöd. Danach habe ich ernsthaft überlegt, neue Bekanntschaften als erstes zu fragen: „Wie lange bleibst du hier?“ um dann, bei falscher Antwort, das Weite zu suchen.

Das klappte nicht.

Irgendwann habe ich es dann akzeptiert. Das ist nun einmal so, habe ich gelernt, vor allem, wenn man sich in einer Auslandsgemeinde bewegt, wie wir eben in der deutschen Gemeinde hier in Oslo. Aber statt jetzt jedes Jahr in Tränen auszubrechen, sage ich mir: Toll, dass ich so viele verschiedene Menschen kennenlerne. OK, vielleicht verbringen wir nur ein paar Monate zusammen, aber das ist doch besser, als hätten wir uns nie getroffen.

Das hat natürlich auch Nachteile. Je öfter man sich verabschiedet, umso mehr gewöhnt man sich daran und denkt irgendwann: Ach ja, jetzt kommt diese Zeit wieder. Was nicht heißt, dass der Abschied weniger schwer fällt. Aber man ist…oder ich bin…von vorne herein distanzierter in diese neue Bekanntschaft gegangen. Und dann fällt das Abschied nehmen weniger schwer. Das ist schade – aber ich kann doch nicht jedes Jahr den Sommer mit Tränenströmen begrüßen!!!!!

Wirklich nicht!

Wie sähe man denn dann aus nach ein paar Wochen?

So aufgequollen und überhaupt!

Das ist doch nicht hübsch!

Auf jeden Fall ist das Abschied nehmen ein Teil meines Lebens hier in Norwegen geworden und ich bin froh für alle, die dieses Jahr hiergeblieben sind. Froh bin ich aber auch für die, die ich kennenlernen durfte und die nun wieder zurück in der Heimat sind.

Warten wir auf die, die jetzt kommen und alle meine Freunde hier in Oslo warne ich: Bleibt bloß hier!!!

So gut bin ich dann im Abschied nehmen doch noch nicht!

***

Das war es für heute, meine lieben Leser. Ich wünsche uns allen eine sonnige Woche mit angenehmen Temperaturen, viel Lachen, wenigen Abschieden und all den Sachen, die man im Sommer so machen will. Meine speziellen Grüße gehen diese Woche an meine Blog-Kollegin Corinna vom Italien-Blog Mein Apulien mit ganz herzlichen Glückwünschen zur Geburt des kleinen Davides.

Macht es gut, bis nächste Woche,

ha det bra,

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Ulrike

Lørdagsgodt ODER Am Samstag wird in Norwegen genascht!

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Schickt die Kinder aus dem Raum für die folgende gruselige Aussage und setzt Euch selber ganz schnell hin.

Bereit?

Sicher?

Besonders alle mit einem sogenannten sweet tooth, also einer Schwäche für Süßigkeiten, möchte ich jetzt vorwarnen. Ok. Here it comes. Mich gruselt es schon fast selbst….also, tief einatmen…und…

In Norwegen bekommen Kinder nur am Samstag Süßigkeiten.

!!!

Hallo, meine lieben Leser, wie schön, dass wir uns hier wieder treffen. Ja, da guckt Ihr…Süßigkeiten nur am Samstag. Das muss man erst mal verdauen, begreifen und sich vorstellen können. Lørdagsgodt nennt sich diese norwegische Tradition und sie funktioniert wie folgt: Die ganze Woche werden Kinder von allem Zuckerzeug ferngehalten und am Samstag dürfen sie dann zuschlagen. In manchen Familien gibt es einen Schokoriegel, süße Brötchen oder Kekse, in anderen eine 300g-Packung Weingummi.

Entstanden ist diese norwegische Tradition in Schweden. Wir schreiben das Jahr 1942. Bei fast allen schwedischen Wehrpflichtigen werden bei der Eingangsuntersuchung Löcher in den Zähnen festgestellt. Große Löcher. Ärzte und Gesundheitsministerium beschließen, dass etwas geschehen muss. Zucker wird als Verursacher der löcherigen Zähne vermutet, der Beweis dafür steht allerdings noch aus. Um diesen Beweis zu erbringen, startet in einem Sanatorium in Lund ein bis heute hart kritisiertes Experiment: 600 (ahnungslose und nie um Zustimmung gebetene) geistig behinderte Testpersonen werden fast genötigt, süße und klebrige Karamellbonbons zu essen. Und zu essen. Und zu essen. Nach einigen Jahren ist der Beweis erbracht: Übermäßiger Zuckergenuss führt zu Löchern in den Zähnen. Das schwedische Gesundheitsministerium schlägt daraufhin 1957 vor, Süßigkeiten nur noch am Samstag zu genießen. Der Begriff lördagsgodis (Samstagssüßigkeiten) entsteht und wird bald in Norwegen als lørdagsgodt übernommen.

Und gilt bis heute. Wie mit allen Traditionen ist es auch mit lørdagsgodt so: Nicht alle machen es. Aber erstaunlich viele. So wenigstens mein Eindruck, als ich im Bekanntenkreis und über Facebook nachgefragt habe. Und am Thema scheiden sich die Geister. Manche Eltern sind dafür, weil damit Diskussionen und Bettelaktionen der Kinder im Supermarkt vor dem Schokoladenregal ausfallen. Die Kinder akzeptieren, dass es Süßigkeiten eben nur am Samstag gibt. Unterstützt werden die Eltern dabei von den Kindergärten/Schulen, die anscheinend auch ein striktes Anti-Zucker-Regime führen.

Nein, das stimmt nicht.

Sagen wir ein Anti-Süßigkeiten-Regime.

Kindergärten, die Brot mit Kaviar-aus-der-Tube an Kinder verfüttern, sollten sich mal nicht so weit aus dem Fenster lehnen.

Finde ich :).

So, die einen finden lørdagsgodt also ganz prima, eine tolle norwegische Tradition, jawohl, auch sie sind so aufgewachsen, alles prima, alle machen das so, punktum. Toll.

Dann kommen die anderen, denen diese Gleichmacherei in Norwegen auf die Nerven geht. Ja, Ihr habt es Euch gedacht, das sind meistens ausländische Stimmen. Viele von ihnen finden das Prinzip lørdagsgodt völlig daneben, wollen sich nicht vorschreiben lassen, WANN sie ihrem Kind und OB Süßigkeiten geben. Außerdem, so feixen sie, solle man mal genau hingucken, wie viel Süßigkeiten norwegische Kinder am Samstag so bekämen. Das wäre eine wahre Zuckerschlacht und völlig übertrieben.

Im häuslichen Alltag ist das vermutlich gar nicht so leicht umzusetzen. Soll das Kind nur am Samstag Süßigkeiten bekommen, dürfen an den anderen sechs Tagen in der Woche keine Zuckersünden auf den Tisch. Nicht nur für das bemitleidenswerte Kind gilt das dann – nein, auch für die Eltern! Wie sonst soll ich meinem Kind lørdagsgodt beibringen? Aber wird das auch immer durchgehalten? Oder schleichen sich zuckerabhängige Eltern abends heimlich in den Keller, wo sich hinter den Langlaufskiern das geheime Zuckerversteck befindet? Und wie schrecklich, dann von den Kindern dabei erwischt zu werden. Gegenseitig schieben sich die beschämten Eltern die Schuld zu. Doch es hilft nichts. Die Katze ist aus dem Sack, der Zucker aus dem Keller. Ende mit dem lørdagsgodt.

Na gut, das ist vielleicht etwas übertrieben.

Aber lustig.

Eltern abends im Keller am Naschen…heimlich…wer weiß, das heizt vielleicht eingeschlafene Beziehungen wieder an…

An mir wird diese norwegische Absurdität sang- und klanglos vorübergehen. Der bloße Gedanke, nur einmal in der Woche Süßes zu essen, ist so erschreckend, dass ich zur Beruhigung erst mal ein Snickers essen muss.

Besser, danke.

Aber im Ernst: Das Prinzip ist nicht schlecht. Der Samstag wird dadurch zu einem besonderen Tag, an dem die ganze Familie sich etwas Süßes gönnt. Es müssen ja nicht gleich 300g-Tüten auf den Tisch kommen.

***

Absurd, oder? Aber norwegischer Alltag und ein wirklich nettes Blogthema, fand ich. Aber das war es schon wieder für heute. Obwohl es eigentlich gestern ist, nämlich genauer gesagt, die Nacht auf Freitag kurz vor 1 Uhr. Irgendwie habe ich das Blogschreiben noch nicht in Gesas und meinen Alltag einbauen können, aber das kommt sicherlich noch. Nun schläft sie aber selig und ich habe Zeit zu schreiben. Obwohl ich zugeben muss, dass meine Kreativität nach Mitternacht auch nicht mehr das ist, was sie mal war.

Ich arbeite dran!

Euch allen wünsche ich eine tolle Woche, wir haben die bestimmt, denn im Abstand von ein paar Tagen kommen uns Gesas Paten aus Deutschland besuchen. Meine wöchentlichen Grüße also diese Woche an Sabine, Imke und Kai – wir freuen uns auf Euch!!!

Genießt den restlichen Herbst, versüßt ihn Euch (und zwar nicht nur am Samstag) und vergesst nicht zu lachen!

Ha det bra,

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Ulrike

 

Babypause 2 ODER Gesa ist eine ungewöhnliche Wahl…

 

Aus unserem kleinen, illegalen Einwanderer (= unserer Babytochter) wird Schritt für Schritt ein Mitglied der norwegischen Gesellschaft. Skatteetaten, das norwegische Finanzamt, hat mir heute um 4.09 Uhr eine „Aufforderung zur Namensgebung des neugeborenen Kindes“ per SMS zugeschickt. Da ich momentan zu dieser Zeit eh immer wach bin (Schlaf ist ja völlig überbewertet), gab ich umgehend zur Antwort, dass das „neugeborene Kind“ Gesa Vibeke Niemann heißen soll. Immer noch bin ich ganz begeistert von dem Namen!!! Gesa Vibeke….sooo schön!! Gut gewählt haben wir da, denke ich, ganz prima gemacht.

Das emotionslose Eingabe-Programm des Finanzamtes teilt meine Begeisterung allerdings nicht, sondern holt mich auf den Boden der norwegischen Tatsachen zurück. „Gesa“, so lese ich verwirrt, sei eine ungewöhnliche, dem Programm unbekannte, Namenswahl für ein Mädchen. „Sind Sie sicher, dass kein Schreibfehler vorliegt?“ – Ja, äh Danke, eigentlich schon. Ich tippe erneut „Gesa Vibeke“ in das mittlerweile alarmierend rot umränderte Feld auf dem Bildschirm. „Gesa ist eine sehr ungewöhnliche Namenswahl für ein Mädchen. Sind Sie sicher…..?“ Langsam werde ich unruhig. Muss ich meiner süßen Gesa jetzt einen anderen, norwegisch kompatiblen, Namen geben??? Ein Sternchen auf der Seite hilft weiter. Um den gewünschten (= total merkwürdigen unnorwegischen) Namen genehmigt zu bekommen, soll ich eine schriftliche Begründung zur Namenswahl abgeben. Herregud!!!!! Ich schreibe also, dass es sich bei „Gesa“ um einen norddeutschen Namen handelt, den die beiden Elternteile ausgewählt hätten, da sie selber deutsche Staatsbürger sind. Logisch, oder? Aber reicht es dem strengen Programm?

Nach kurzer Bearbeitungszeit teilt mir das Programm mit, meine Anmeldung sei akzeptiert. Eureka!!!

Nun werde sie dem Kindsvater zur Verifizierung geschickt.

Was??

Mir traut hier aber auch keiner!

Wahrscheinlich, beruhige ich mich und mein Ego, hat das Finanzamt schlechte Erfahrungen mit Müttern gemacht, die im Babyblues ihre Kinder Apple, Blanket, Hazel oder Kevin genannt haben und mit aufgebrachten Vätern an den Toren des Finanzamtes,  die mit der Wahl leben mussten.

Glücklicherweise bestätigt Martin meine Angaben und nach einem erneuten Klick landet das Formular im (hoffentlich) sicheren Dateneingang des norwegischen Finanzamtes. Das Ganze hat nicht länger als 10 Minuten gedauert, konnte im Nachthemd am Küchentisch erledigt werden und neben einem offiziellen Namen hat Gesa nun auch eine sogenannte Fødselnummer oder Personennummer und ist Teil des norwegischen Systems. Sechs Monate hätten wir uns mit der Namensgebung Zeit lassen können, aber ohne Namensgebung keine Geburtsurkunde und ohne Geburtsurkunde kein deutscher Pass und ohne deutschen Pass keine Reise nach Deutschland. Irgendwo dazwischen müssen wir noch, da Ausländer, zum UDI (Utlendingsdirektoratet/Ausländerbehörde), aber leider habe ich die Email gelöscht, die mir die Prozedur erklärt hat und somit kann ich EUCH das gerade nicht erklären, aber so lange Ihr nicht unbedingt sofort heute ein ausländisches Kind beim UDI anmelden wollt, eilt das ja auch nicht. Oder?

Das war es für heute, nächste Woche kehrt der Blog in gewohnter Länge zurück aus der Babypause und beschäftigt sich mit dem Thema: „Rosa muss sein?? ODER Das ist aber ein süßer Junge!“ Angeregt wurde ich zu dem Thema bei einem supernetten Kaffeeplausch hier in Oslo, danke Suzanne und Ingrid, nicht nur für den Plausch und die Idee zum Rosa-Blog, sondern fürs Blog lesen und mich kontaktieren!!! 🙂

Euch allen wünsche ich eine tolle Woche, genießt den Spätsommer und lasst Euch nicht von komischen Systemen verwirren.

Ha det bra,

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Ulrike

 

Undercover auf Wohnungskauf in Oslo ODER Hahahaha, WIEVIEL soll die kosten???

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Die Reaktionen sind meistens ähnlich: Verständnisvolles Nicken, betretenes Schweigen oder ein Aufschrei der Empörung. „WAS macht Ihr?“ Als wir neu in Norwegen waren, hat uns gerade die empörte Reaktion verunsichert. „Ja, aber das ist doch ganz normal!! In Deutschland machen das ganz viele…“ Ungläubiges Kopfschütteln der norwegischen/skandinavischen Bekannten folgte. Worum geht es hier? Unsere politische Einstellung? Eine ungewöhnliche Freizeitgestaltung? Tischsitten? Nein.

Es geht darum, dass wir unsere Wohnung…mieten.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Eine Wohnung oder ein Haus zu mieten ist in Skandinavien (fast) verpönt. Studenten wird es noch nachgesehen, aber jeder halbwegs etablierte Erwachsene hat gefälligst zu kaufen. Laut SSB, dem Statistikbüro Norwegen, besitzen fast 80% der Norweger ein Haus oder eine Wohnung (oder beides). Laut Eurostat liegt das skandinavische Land damit auf Platz 9 im europäischen Vergleich. Auf dem ersten Platz im Wohneigentum: Rumänien mit 96%. Auf dem letzten: Deutschland mit 46%. In keinem Land Europas ist der Anteil der Eigentümer so gering wie in Deutschland.

Warum?

Das Thema beschäftigt seit Auftauchen der Statistik die Gemüter (Wer ist schon gern Letzter?). Zwei Gründe scheinen für die hohe Anzahl an Mietern in Deutschland ausschlaggebend zu sein: Zum einen Geschichte und zum anderen der Finanzmarkt. Im zweiten Weltkrieg zerstörten die Alliierten einen großen Teil des Wohnraums in Deutschland und nach Kriegsende fehlten über vier Millionen Wohnungen für die Zerbombten und Vertriebenen. Statt aber Kredite für Hausbau oder Hauskauf zur Verfügung zu stellen, förderte der Staat in den 50er Jahren den sozialen Wohnungsbau. Später wurde der Mietmarkt privatisiert und die Investition in Mieteigentum lohnend. Heute herrscht in Deutschland eine gut funktionierende Mietkultur. Auch, wenn manche Städte wie München nicht genug Wohnraum bieten, ist der Mietmarkt in Deutschland, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, groß und gut reguliert.

Im Ausland (Horrorbeispiel USA) bieten die Banken Menschen mit niedrigem oder unregelmäßigem Einkommen Kredite an – nicht so in Deutschland – und ermöglichen sogenannte Nullfinanzierungen. In Deutschland liegt der Eigenkapitalanteil, wenn ich mich nicht täusche, bei 15 bis 20 %.  Der deutsche Finanzmarkt bestimmt also indirekt die Anzahl von Mietern und Eigentümern. Und gerade das vorsichtige Verhalten der Banken hat uns irgendwie erzogen. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich bekomme allein bei der Vorstellung hoher Schulden/Kredite mit einer Laufzeit von 25 Jahren das blanke Panikgefühl.

Fazit ist also: Mieten in Deutschland ist geschichtlich und ökonomisch geprägt, völlig akzeptiert und ob wir nun auf dem letzten Platz der Statistik stehen oder nicht, wen kümmert es?

Ganz anders, wie gesagt, in Norwegen. Mieten bleibt hier größtenteils Studenten und Ausländern vorbehalten, aber auch die verwandeln sich irgendwann in Eigentümer. Die meisten Mietwohnungen stehen in Oslo in den Vierteln zur Verfügung, in die es viele Studenten/ (gutverdienende) Ausländer zieht: Majorstuen, Frogner, Grünerløkka. Die Mietpreise sind horrend und viele Wohnungen werden darum als WGs vermietet. Kaum ein WG-Zimmer in den beliebten Wohnbezirken kostet unter 5000,- NOK, umgerechnet rund 625,- Euro. Mieten ist für viele eine vorübergehende Notsituation, bis man irgendwann den ersten Schritt auf den Eigentumsmarkt wagt.

„Wie läuft das wohl ab, so ein Wohnungskauf?“ habe ich mich gefragt. Viel hatte ich vor allem schon über die notorische budrunde gehört und gelesen, die Gebotsrunde, die im technischen versierten Norwegen via Email oder SMS abläuft. Viel wurde mir erzählt von völlig überteuertem Eigentum, von Häusern, die für mehrere Millionen über Einstiegswert verkauft wurden. Zu gern würde ich ja mal an so einem Verkaufsablauf teilnehmen. Einfach so, just for fun.

„Ja, mach doch!“ antwortete mir Freundin Anne beim gemeinsamen Kaffee. Ich müsste mich einfach nur in eine ausliegende Liste bei einer visning (Besichtigung) eintragen und schon würde ich über alle abgegebenen Gebote per SMS informiert.

Echt? Einfach so? Toll! Nichts wie hin!

Noch am selben Tag sitze ich also vor dem Computer und suche nach möglichen Kaufobjekten. Die in Norwegen wichtigste Internetseite für den Wohnmarkt heißt finn.no, ich bin hier regelmäßig zu Besuch und gucke nach Mietwohnungen. (Nächstes Jahr wollen wir umziehen und ich will auf dem Laufenden bleiben, aber das nur nebenbei.) Statt aber bolig til leie (Wohnraum zu mieten) anzuklicken, wähle ich diesmal bolig til salgs (Wohnraum zu verkaufen). Dann erkläre ich finn.no, dass mich Wohnungen mit drei Schlafzimmern und Balkon in Uranienborg und Majorstuen interessieren, also in nächster Umgebung.

Klick.

20 Objekte erscheinen auf dem Bildschirm, unter ihnen ein sogenanntes townhouse mit 239m² für 25 Millionen Kronen. Na, wir wollen es ja mal nicht übertreiben. Um DAS Haus zu besichtigen, muss man wahrscheinlich vorher sämtliche Finanzen offen legen und zum Lügendetektortest. Ich klicke mich von Eigentum zu Eigentum und entscheide mich schließlich für eine Wohnung im Camille Collett vei, einer meiner Lieblingsstraßen in Oslo. Die 78m² Wohnung wird für 4.090.000,- NOK angeboten, umgerechnet rund 510.000,- Euro. Ein Schnäppchen in dieser Gegend. Das visning ist am kommenden Sonntag zwischen 12 und 13 Uhr und offen für alle Interessierten. Die angezeigten Bilder sehen vielversprechend aus, die Wohnung wirkt gepflegt und gut in Schuss. Nichts wie hin da!

Am darauffolgenden Sonntag machen wir uns gut gelaunt auf den Weg. Der Camille Collett vei liegt 15 Minuten Fußweg von uns entfernt, mitten in Frogner und besteht größtenteils aus gut erhaltenen, wunderschönen Altbauten. Das Haus in dem „unsere“ Wohnung liegt, ist häßlich wie die Nacht, aber vom Balkon hat man einen wunderbaren Blick auf einige der schönsten Häuser der Straße. Und wie oft sitzt man schon VOR dem eigenen Haus und guckt es an? Kurz vor dem Ziel werden wir von zwei energischen Paaren in den 50ern überholt. „Ich wette, die gehen auch zum visning“, sage ich zu Martin. Ein blaues Schild der Maklerfirma hilft uns den Eingang zu finden. Die Haustür ist verschlossen, aber auf dem Klingelschild der 2. Etage klebt ein Zettel mit dem Namen des Maklers. Nach einem Augenblick surrt der Türöffner und wir klettern die Treppen hinauf.

Reges Stimmengewirr dringt durchs Treppenhaus, die Tür der Wohnung im 2. Stock ist angelehnt. Rund 15 Leute sind anwesend, zwei weitere drängeln sich schon wieder an uns vorbei nach draußen. Nonchalant, als würden wir uns täglich Wohnungen für 510.000,- Euro  angucken, treten wir ins Wohnzimmer und mein erster Blick fällt auf die beiden energischen Paare von der Straße. Ha, hab ich doch gewusst, dass wir die hier wiedersehen. Im Wohnzimmer flätzen sich zwei gelangweilte Kinder auf dem wollweißen Stoffsofa, während ihre Eltern kritisch den offenen Kamin betrachten. Wir gehen ins angrenzende Schlafzimmer und blicken uns um. Und lernen, dass Fotos, im richtigen Winkel aufgenommen, über vieles hinwegtäuschen: Die Fenster sind alt mit brüchigen Rahmen, die Heizungskörper anscheinend aus dem Baujahr des Hauses 1931. Der begehbare Kleiderschrank könnte noch nicht mal als „shabby chic“ oder „retro“ verkauft werden und die Farbe der Fliesen im angeschlossenen Badezimmer treibt mir das Wasser in die Augen.

Ich will meinen Augen eine Erholung bieten, schwenke sie weg von den gruseligen Fliesen, als sie einen weiteren Schock erleiden: Unbemerkt ist ein solariumgebräunter Mann in rosa Hemd und knallgrüner Hose in den Raum gekommen. Ich springe vor Schreck fast nach hinten. Es ist der Makler, der uns begrüßt und einige Anmerkungen zum Schlafzimmer macht. Mein Blick ist auf das rosa Hemd fixiert und Martin muss den größten Teil des Gesprächs übernehmen.

Der Verkaufskatalog und die Liste lägen auf dem Esstisch, lässt die rot-grün-Kombination uns wissen und dankbar verlasse ich das Schlafzimmer. Die aus edlem Papier und mit güldenen Buchstaben bedruckte Verkaufsmappe wandert in meinen Besitz und ich trage mich auf der Liste der Interessenten mit Namen und Telefonnummer ein. (Nicht ohne natürlich vorher genau zu lesen, ob ich dann eventuell auch mitbieten muss! – Muss ich nicht.) Währenddessen hat Martins handwerkliche Seite Überhand gewonnen und er führt mich von Zimmer zu Zimmer, um mir zu zeigen, was hier alles gemacht werden müsste. Als wären wir wirklich an der Wohnung interessiert. Mein Mann ist ein echter Undercover-Profi! Auch der Makler ist von Martins offensichtlichem Interesse überzeugt und gibt Tipps zu Wandaufbrüchen und Kaminverkleidungen.

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Ich wandere durch die Räume und versuche zu verstehen, aus welchem Grund diese Wohnung für 4 Millionen Kronen angeboten wird. Erstens, natürlich, ist es immer: Location, Location, Location. Wir befinden uns in einem der teuersten Wohngebiete Oslos, das macht einen Teil aus. Dann sind es drei Schlafzimmer und ein nicht zu kleiner Balkon. Der Parkettboden im Wohnzimmer scheint original aus den 30ern zu sein, die Fenster sind doppelt verglast.

Auf der anderen Seite: Alle Heizkörper müssen wenn nicht ersetzt, dann doch wenigstens komplett renoviert werden. Die Fensterrahmen sind brüchig, die Wände mit Bohrlöchern übersät und dringend streichbedürftig. Die Küche ist veraltet, die Armaturen abgenutzt, die eingebauten Schränke noch nicht einmal mehr „shabby chic“. Das Badezimmer ist unmodern, im ersten gibt es keine Toilette, im zweiten dafür eine Toilette, aber nur ein Waschbecken. Alles wirkt alt und abgenutzt. Von den Fliesen wollen wir gar nicht reden. Die ganze Wohnung braucht also Schönheitsreparaturen. Die kosten natürlich nicht die Welt, aber fallen in wirklich jedem Raum an. Und das noch oben drauf auf die eh schon hohe Kaufsumme  – WER macht das?

Ich stelle mir vor, dass hier wäre eine Mietwohnung und ich bei der Besichtigung. Schon nach fünf Minuten wäre ich wieder gegangen. Klar, im Notfall wäre die Wohnung „sofort bezugsfähig“, aber wirklich nur im Notfall. Auch im Vergleich mit unserer momentanen Wohnung schneidet diese hier schlecht ab. Die beiden ähneln sich in Aufbau und Ausstattung, beide Häuser sind aus derselben Zeitperiode, aber unsere Wohnung ist viel besser in Schuss.

Martin hat seine Fachgespräche mit dem Makler beendet, der wahrscheinlich große Hoffnungen in uns hat, nachdem wir das Paar waren, das insgesamt die meiste Zeit hier verbracht hat. Wenn der wüsste! Mit einem letzten Blick auf die wackelige Flurgarderobe verabschieden wir uns, sicher, dass niemand diese Wohnung in diesem Zustand kaufen wird.

Am nächsten Abend bekomme ich eine SMS. „Budvarsel“ lautet die Überschrift, Angebotsnachricht. Oho, da hat tatsächlich jemand auf die Wohnung geboten. Aber bestimmt weit unter gefragtem Preis. 3 Millionen, tippe ich…

Ein Angebot über 4.500.000,- NOK eröffnet die Gebotsrunde. 4,5 Millionen? Aber der geforderte Preis lag laut Annonce doch nur bei 4,09 Millionen! Na, das geht ja gut los. Das Angebot ist vorbehaltlos, das heißt der Bieter verfügt über ausreichende Mittel, die per Finanzierungsbeweis bestätigt sind. Das Angebot ist  bis zum kommenden Tag um 12 Uhr gültig.

Um 11.49 Uhr am nächsten Tag kommt ein Gegengebot: 4,6 Millionen bietet ein Interessierter, auch sein Angebot gültig bis um 12 Uhr. Nur sieben Minuten später die Reaktion: 4,8 Millionen liegen jetzt auf dem Tisch. Die Versteigerungsrunde ist in vollem Schwung, das jeweilige Angebot immer nur 15 Minuten gültig.

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Sechs Minuten später das nächste Angebot, doch der Bieter ist vorsichtig, er erhöht nur um 50.000,- Kronen. Wer mitgerechnet hat, weiß: Wir sind jetzt bei 4,85 Millionen Kronen. Es dauert nur drei Minuten bis zur nächsten SMS: Um 12.09 Uhr liegt das Kaufgebot für die renovierungsbedürftige, 78m² große Dreizimmerwohnung bei 5 Millionen Kronen.

625.000,- Euro.

Und dabei bleibt es. Es kommen keine weiteren Nachrichten und am späten Nachmittag wird die Wohnung bei finn.no bereits als solgt, also verkauft, ausgewiesen.

Ich bin, ehrlich gesagt, von den Socken. Den Ausgangspreis fand ich schon unglaublich, aber dass das endgültige Gebot noch eine Million Kronen darüber lag, ist unvorstellbar. Wie stark wirkt bei diesen Versteigerungen auch der sportliche Ehrgeiz? Das „Ich will das jetzt haben!“-Syndrom?  Ich kann es nicht fassen, aber vielleicht bin ich auch zu naiv und sehe den EINDEUTIGEN Vorteil der Wohnung nicht?

Was verstehe ich schon davon…ich MIETE ja auch…!

Was ich jetzt besser verstehe, ist das norwegische Wohnungskaufsystem und ich muss sagen: Spannend ist es schon. In diesem Fall war die budrunde kurz und schnell vorbei, aber für den ersten Eindruck hat es mir gereicht. Außerdem war es unterhaltsam, einfach mal fremde Wohnungen zu besichtigen. Ich glaube, ich habe ein neues Hobby.  Mal gucken, was für visnings es kommenden Sonntag in der Umgebung gibt……

***

Das war es für heute meine lieben Leser! Was für Erfahrungen habt Ihr mit Haus- oder Wohnungskauf, wie findet Ihr es zu mieten oder warum wollt Ihr es nicht? Es wäre toll, wenn Ihr Eure Erfahrungen mit mir teilt! Danke an dieser Stelle an Anne für die gute Idee, einfach mal zum visning zu gehen. Der nächste Kaffee geht auf mich :). Euch allen wünsche ich eine tolle Woche, unternehmt mal etwas Ungewöhnliches, bleibt neugierig und lasst es Euch gut gehen – ob in der Mietwohnung oder im eigenen Häuschen.

Ha det bra,

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(Mit Grüßen aus der Mietwohnung!)

Ulrike

Das Kongodorf im Frognerpark ODER In 100 Jahren ist alles vergessen?

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Es herrscht das Zeitalter der Selbstdarstellung: Dank Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram können wir uns und unser Leben heute vor einem weltweiten Publikum ausbreiten. Und tun das auch. Millionenfach. Mit möglichst originellen Fotos, emotionalen, provozierenden oder alltäglich langweiligen Aussagen wetteifern wir um die kostbarste Währung unserer Zeit: Aufmerksamkeit. Werden wir dazu gezwungen? Im Gegenteil: Der Einblick in unser Privatleben erfolgt ganz freiwillig. Bereits 1914 kam es in Oslo zu einem Akt der Selbstdarstellung. Nur freiwillig, freiwillig war der wohl kaum: Achtzig schwarze Menschen waren Insassen eines im Frognerpark aufgebauten „menschlichen Zoos“. Jetzt, 100 Jahre später, wurde das „Kongodorf“ rekonstruiert.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Als im März diesen Jahres mit dem Bau großer Strohhütten im Frognerpark begonnen wurde, dachte ich zu allererst an kommende Dreharbeiten, dann an lustige Unterhaltung für die Festlichkeiten zum 17. Mai und wurde am Ende eines Besseren belehrt: Kunst mit politischem Hintergrund entstand vor meinen Augen. Worum ging es?

Blicken wir hundert Jahre zurück.

Oslo, 1914: Die Stadt will mit großem Pomp und Trara das 100jährige Bestehen des norwegischen Grundgesetzes feiern. Benno Singer, erfahren mit Dingen dieser Art, wird beauftragt, im Frognerpark einen Jahrmarkt mit Attraktionen aller Art zu organisieren. Neben einer Achterbahn und einem Pantomimentheater plant der geschäftstüchtige Impresario auch ein „lebendiges Dorf“ im Park. Seit der Internationalen Ausstellung in Brüssel 1897 gehörten Nachbauten afrikanischer Dörfer zu den festen, und sehr populären, Bestandteilen einer derartigen Veranstaltung. Der Kolonialismus und die europäische Dominanz von Ländern wie Belgien, Frankreich oder England schürten ein voyeuristisches Interesse am afrikanischen Kontinent. Der Originalplan, in Oslo ein „lebendiges Dorf“ mit Sami (der norwegischen Urbevölkerung) aufzubauen, wurde vom Leitungskomitee abgelehnt und so griff Singer zurück auf das schon bekannte und bewährte Programm: Das „Kongodorf“ entstand.

Vom 15. Mai bis 11. Oktober 1914, während der Rest Europas kopfüber in den Terror des 1. Weltkriegs fiel, bestaunten fast 1,4 Millionen Besucher in Oslo den sogenannten menschlichen Zoo. Achtzig schwarze Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, präsentierten sich in einheimischen Trachten zwischen „typischen“ Haushaltsgegenständen, Schmuck, Waffen und religiösen Requisiten, um ein Bild vom „echten“ Leben in Afrika darzustellen. Es wird vermutet, dass die Senegalesen Mitglieder einer durch Europa tingelnden Schauspielertruppe waren, genau bekannt ist ihre Herkunft aber nicht. Die Norweger amüsierten sich auf jeden Fall größtenteils prächtig und die Zeitung Aftenposten titelte: „So lustig!“

Karikatur von 1914

@oslobilder.no

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Zurück in die Gegenwart….

Oslo, 2014: „In 100 Jahren ist alles vergessen!“, rief der norwegische Dichter Knut Hamsun legendär dem Gericht entgegen, das ihn wegen Landesverrats verurteilen wollte. Aber ist in 100 Jahren alles vergessen? Der aus Somalia geflüchtete und in Norwegen lebende Künstler Mohamed Ali Fadlabi und der schwedische Künstler Lars Cuzner sagen: Nein. Und bewerben sich mit einem Kunstprojekt für das 200jährige Jubiläum des norwegischen Grundgesetzes. Ihre Idee: Das „Kongodorf“ im Frognerpark zu rekonstruieren. Ihre Motivation: An den norwegischen Rassismus von 1914 zu erinnern und zu fragen, was sich verändert hat. Ob sich etwas verändert hat. Oder ob einige der Ansichten von damals noch heute aktuell sind.

Unter der Schirmherrschaft von KORO (Kunst i offentlige rom) entsteht das Projekt European Attraction Limited. Über 1 Million norwegische Kronen werden den Künstlern zur Realisierung zur Verfügung gestellt. Während die Bauarbeiten im Frognerpark beginnen, beginnt auch die Diskussion in den Medien. Kontrovers, versteht sich. Während die eine Seite ein unangenehmes Detail norwegischer Geschichte vergessen will, fordert die andere die Konfrontation damit.  Die äthiopische Schauspielerin und Aktivistin Hannah Wozene Kvam erklärt gegenüber Aftenposten: „Norwegen will es vielleicht nicht vergessen, der Kongo aber ganz bestimmt!“ Beim sozialen Netzwerk Twitter empören sich die Menschen unter #someonetellnorway darüber, dass in Norwegen ein menschlicher Zoo etabliert werden soll. Erst nach einigen Tagen kommt es zur Klarstellung, dass ein Dorf mit Strohhütten zwar aufgebaut werden wird, dort aber keine Menschen leben werden.

Obwohl, so ganz von der Hand zu weisen ist die Unterstellung nicht. Gerüchten zufolge war der Plan der beiden Künstler schon, die Hütten bewohnen zu lassen. Die Ablehnung dieser Idee durch das Jubiläumskomitee erfolgte wohl aber auf dem Fuß.

Wie präsentiert sich das Kunstwerk also?

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Auf einer Wiese im Frognerpark, genau gegenüber des Kanvas-Kindergartens: Ein gewaltiges, rotes Tor mit der Überschrift „Kongolandsbyen“ (Kongodorf),  vor dem die Flaggen Norwegens und Belgiens wehen, führt die Besucher zu zehn leer stehenden Strohhütten. Vorne am Tor eine Erklärung des Projekts und das Gedicht von Knut Hamsun In 100 Jahren ist alles vergessen. (Dass ausgerechnet ein norwegischer Dichter, der Hitler und den Bau von Konzentrationslagern verteidigte, hier auftaucht, lässt mich immer noch grübeln.) Während zwei Kinder in der langgezogenen Hütte Fangen spielen, wandere ich von Hütte zu Hütte und bin ratlos.

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Beklommen soll mich der Besuch werden lassen und mir den immer noch existierenden Rassismus in Norwegen deutlich machen, las ich in VG (nur Norwegisch). Aber ist und war Norwegen wirklich rassistischer als andere europäische Länder? Die Frage bedeutet ja nicht, dass das Thema nicht hochaktuell ist und behandelt werden sollte. Sich aber ein „Kongodorf“ als Sinnbild für norwegischen Rassismus zu nehmen, das so oder in abgewandelter Form in vielen europäischen Ländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu finden war, ist das nicht übertrieben? Dagbladet (nur Norwegisch) schlug vor, dass sich die Besucher gegenseitig betrachten sollen, da wir heutzutage alle Teilnehmer in einem „lebendigen Dorf“ sind.

Vielleicht gibt es Besucher, die das eine oder andere empfinden beim Gang durch das öffentliche Kunstwerk. Mir fehlt ein klares Konzept und die konsequente Durchführung: Warum nicht Freiwillige in die Hütten setzen, die sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart präsentieren? Die die Fragen um Rassismus und Voyeurismus von 1914 mit denen von 2014 verbinden? DAS würde mich nachdenklich machen. Leere Hütten? Nee, leere Hütten bringen es nicht.

***

So, meine lieben Leser, das war es schon für heute. Rassismus in jeder Art darf keinen Platz in unserer Welt haben. Angst zu haben vor dem, der fremd ist; sich überlegen zu fühlen und dabei in Wahrheit unterlegen zu sein; sich mit rassistischen Kommentaren in einem der Selbstdarstellungsmedien als besonders witzig zu präsentieren…das alles ist armselig und dumm. Wünschen wir uns also weniger dumme Menschen in der Welt und ein besseres Miteinander! Und nicht nur wünschen: Arbeiten wir daran!

Ha det bra,

...ein weiterer Akt der Selbstdarstellung...

…ein weiterer Akt der Selbstdarstellung…

Ulrike

P.S. Wer sich selber ein Bild machen will: Noch bis zum 31. August kann „Kongolandsbyen“ im Frognerpark besichtig werden.

Allein unter Schafen in Neuseeland ODER Was für Auswanderer-Typen gibt es?

Ich liebe Psychotests. Von Welche Hollywood-Ikone bist du? (Antwort: Audrey Hepburn. Huch.) über Bist du eine Zicke? (Antwort, erstaunlicherweise: Ja.) bis hin zu Welcher Muttertyp bist du? (Antwort, beruhigenderweise: Ich bin für beide Geschlechter geeignet.) ist kaum ein Psychotest vor mir sicher.

Jeder hat ja so seine Laster.

Ich also Psychotests.

Das war auf jeden Fall das eindeutige Ergebnis bei Welche Laster hast du?

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Ich erwähne es nur noch am Rande: Ja, es ist heiß. Immer noch.

Weiter im Text.

Ich liebe also Psychotests. Beim wahllosen Surfen im Netz stieß ich heute auf einen Test bei jetzt.de, der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Welcher Auswanderer-Typ bist du? Na, da bin ich doch neugierig geworden. Ran also an den Test, kurz registriert und zehn absolut dusselige Fragen später war klar: Wir müssen umziehen. Denn ich gehöre in die Kategorie: Allein unter Schafen in Neuseeland. Der Test fand heraus, dass meine Liebe zu den „Herr der Ringe“- Filmen mich dazu bringen wird, per eBay eine Schaffarm in Neuseeland zu ersteigern. Das ist insoweit besonders interessant, da es 1. überhaupt keine Frage zu den Filmen gab und ich 2. auch nie im Leben irgendeinen positiven Kommentar über selbige abgegeben hätte. Ich finde die Filme, Bücher, Hörbücher nämlich zum Gäääääähnen.

Aber wer bin ich, das Ergebnis eines Psychotests anzuzweifeln?

Eigentlich hatte ich auch erwartet zu erfahren, welcher TYP ich genau bin, wenn es ums Auswandern geht und nicht, WOHIN ich auswandern würde. Denn, und da hat der Test wenigstens in der Überschrift recht, es gibt ganz unterschiedliche Auswanderer-Typen.  Auch hier in Norwegen. Mit einem zwinkernden Auge und viel Selbstironie stelle ich Euch die drei Typen vor, die mir hier in den letzten zwei Jahren aufgefallen sind.

1. Die Brunost-Schwärmer mit Elchpatenschaft oder „Ja, vi elsker dette landet!“

VORHER: Sie lieben Norwegen seit ihrem ersten Urlaub am Fjord und haben seitdem die Wohnung im Heimatland mit rot-weiß-blauen Fahnen, Trollen und Norwegenkalendern dekoriert. Ihr Traum ist eine eigene Pension an der Westküste Norwegens mit angegliederter Hundeschlittenzucht. Norwegen ist für sie Freiheit, Naturidylle und ein einziger Traum. Irgendwann wird die Sehnsucht zu groß, die deutschen Freunde und Verwandten können das Wort Norwegen nicht mehr hören und auch der Chef verlangt mehr Konzentration auf die Jahresbilanz als auf das norwegische Kochbuch. Eine Entscheidung muss her! Nach einigen Scheiben Knäckebrot mit Brunost sind sich die Schwärmer sicher: Wir wollen nach Norwegen. Für immer! Ab jetzt werden die Wände und Möbel der Wohnung mit norwegischen Vokabeln geplastert („et bord“, „en tannbørste“, „en underbukse“), auf zahlreichen Internetseiten wird nach Jobs und Wohnungen gesucht, im nächsten Zoo schon mal eine Elchpatenschaft eingegangen. Dann geht es endlich los. Die Ankunft in Norwegen erscheint wie das Klopfen am Tor des Paradieses. Endlich da!!

IM LAND: Die Schwärmer stehen ab jetzt jeden Morgen auf und können ihr Glück nicht fassen. Alles, wirklich alles ist toll im Paradies. Und die Sachen, die mal nicht so toll sind, ach, die wiegen gar nicht so schwer. Am Wochenende sind sie nur unterwegs und verbringen ihre Zeit am Fjord, auf Bergen, in Hütten und machen Fotos, Fotos, Fotos. Sie kennen norwegische Spezialitäten besser als mancher Norweger und wissen eh nach einer gewissen Zeit mehr über Norwegen als König Harald. Was sie auch gern zum Besten geben. Sie lernen die Sprache schnell (falls sie sie nicht eh schon kannten) und integrieren sich bestens in das kleine Dorf, in das sie gezogen sind, um „den richtigen Kontakt mit richtigen Norwegern“ zu bekommen. Kontakt mit anderen Deutschen lehnen sie in den ersten Monaten ab, denn „schließlich sind wir nicht nach Norwegen gekommen, um Deutsch zu reden.“  Nach sieben Jahren in Norwegen beantragen sie die norwegische Staatsbürgerschaft, kaufen eine hytte, pflanzen einen Baum und lernen Sami.

NACHTEIL: Ein bisschen fehlt ihnen der Bezug zur Realität, denn die in Norwegen auftauchenden Probleme werden oft weggewischt. Das Paradies soll nicht beschmutzt werden!

VORTEIL: Bei den Norwegern beliebt, weil sie Norwegen ebenso lieben wie die Norweger selbst, sich gut integrieren, die Sprache lernen und regelmäßig Brunost essen. Sind glücklich und bereuen ihre Entscheidung auszuwandern, wahrscheinlich nie oder selten.

2. Die Wirtschafts-Rationalisten mit internationalen Beziehungen ODER „Well, it isn’t New York, is it?“

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VORHER: Im Ausland zu arbeiten ist für sie schon fast normal und nach einigen anderen Ländern soll jetzt mal „das komische Land im Norden mit viel Geld“ dran sein. Der norwegische Arbeitsmarkt sucht internationale Bewerber (auch wenn das nur ungern zugegeben wird), die Türen stehen also relativ offen. Die Gehälter und Zuwendungen sind großzügig, die Arbeitszeit ist dafür gering und die Lebensqualität damit hoch. Die Rationalisten sind nicht unbedingt am Land an sich interessiert, das nehmen sie halt so mit.

IM LAND: Am Anfang wird verglichen. Gerade in Oslo werden sie nicht müde zu betonen, wie provinziell die Stadt doch ist. „Aber wir mögen es hier trotzdem!“ Mit dem 13. oder 14. Monatsgehalt werden dann Trips in die große Welt unternommen. Das Interesse an Norwegen ist mäßig bis kaum vorhanden, man weiß schließlich gar nicht, wie lange man bleibt, ob es nicht irgendwo noch etwas Besseres gibt und überhaupt: Diese Sprache!!! Wer will die schon lernen, sprechen doch alle Englisch hier! Wirtschafts-Rationalisten leben meistens in der internationalen Gemeinde der größeren Städte, haben internationale Freunde, gehen höchstens mal auf ein „Freitags-Bier“ mit ihren Kollegen und fragen sich die ganze Zeit, warum sie eigentlich keinen Kontakt zu Norwegern haben. Bei manchen ändert sich das Verhalten nach einiger Zeit: Sie werden zwar keine Brunost-Schwärmer, aber nach einigen Fahrten mit der Bergenbahn, dem Kaminfeuer in der hytte und der Begeisterung am 17. Mai verspüren sie eine gewisse Begeisterung für das Land, in dem sie leben. Zögernd blicken sie in die norwegischen Zeitungen, schalten auch mal norwegisches Fernsehen ein und bestellen den Kaffee im Espresso House in der Landessprache.

NACHTEILE: Leben in ihrer eigenen, kleinen Welt und sind eher Arbeitstouristen als Einwohner. Tragen, außer Steuerzahlungen, nicht viel zur norwegischen Gesellschaft bei.

VORTEILE: Realistischer als die Schwärmer und, bei auftretendem Interesse an norwegischer Gesellschaft, gute Gesprächspartner mit klarem Blick für das Land in dem sie leben.

3. Die heimwehkranken Nostalgiker ODER „Deutschland, Deutschland über alles…“

VORHER: Sie entscheiden sich aus den unterschiedlichsten Gründen, nach Norwegen zu kommen. Vielleicht ist die Arbeitssituation in Deutschland unerträglich, vielleicht hat die Midlife-Crisis zugeschlagen, vielleicht kommt die große Liebe aus Norwegen oder vielleicht war es einfach mal Zeit für etwas Verrücktes. Auf jeden Fall hat es mehr mit ihnen selbst zu tun als mit Norwegen. Kein idealer Start, kann aber funktionieren. Oder auch nicht.

IM LAND: Hier ist alles so teuer. Man findet gar keine Freunde. Die arbeiten/reden alle so langsam. Was ist denn das für Käse…das ist doch kein Käse? Wenn ich da an Deutschland denke… Die Nostalgiker machen es Norwegen schwer. Denn, wenn sie mal ganz ehrlich wären, eigentlich finden sie es in Deutschland schön. Aber manchmal entdeckt man das eben erst, wenn man für längere Zeit fort geht. Im Ausland begeben sie sich nun in deutsche Organisationen, treffen Deutsche, reden Deutsch und finden das Leben so ganz erträglich. Unermüdlich erzählen sie aber gerne, besonders Norwegern, vom tollen Leben in Deutschland. Die Satelliten-Schüssel mit deutschem TV-Empfang ist eine ihrer ersten Anschaffungen und regelmäßige Trips nach Deutschland sind unumgänglich.

NACHTEILE: Blockieren und lassen sich selbst von knutschenden Elchen in wunderschönen Mittsommernächten am Fjord nicht oder nur schwer begeistern. Verlieren nicht nur den Blick für die Schönheiten Norwegens sondern auch für die Nachteile Deutschlands.

VORTEILE: Sie haben es wenigstens probiert! Es gehört schon Mut dazu auszuwandern. Man kann den schwersten Nostalgiefällen nur wünschen, dass sie auch genug Mut haben, um wieder zurückzugehen ins gelobte Land.

Das waren sie, meine drei Auswanderer-Typen, subjektiv zusammengestellt, wissenschaftlich nicht fundiert und gesellschaftlich vielleicht gar nicht auffindbar, denn weder das Leben noch die Menschen darin sind schwarz-weiß und viele Auswanderer, die ich getroffen habe, sind eine Mischung aus verschiedenen Typen oder – ihre ganz eigenen Typen. Habt Ihr Euch wiedererkannt (und löscht den Blog jetzt oder kündigt mir die Freundschaft????) oder jemanden erkannt, der ausgewandert ist? Seid Ihr selber bereit zum Auswandern? Fragen über Fragen, mit denen ich Euch jetzt allein lasse! Denn ich…jaha, ich…

Ich werde mich jetzt über Neuseeland und den Kauf einer Schaffarm informieren! Wenn jetzt.de schon meint, ich sei dafür geeignet…

Da fällt mir spontan noch ein Auswanderer-Typ ein: Die Nie-Ankommer ODER „Fly me to the moon…“. Das sind die, die immer auf der Reise zu sein scheinen. Die nie ankommen, wohl nie seßhaft werden. Sie sehen Norwegen als fantastische Zwischenstation und sind schon gespannt auf das nächste Land. Nachteil: Kommen nie richtig an, integrieren sich selten. Vorteile: Sehen in jedem Land gute und schlechte Seiten und gehen, wenn es ihnen nicht mehr gefällt.

***

Das war es für heute, meine lieben Leser! Ich hoffe, Ihr hattet Spaß an meinem soziologischen Exkurs und freue mich auf Eure Kommentare zu Auswanderer-Typen in Norwegen, Italien, Deutschland oder wo auch immer! Hier in Oslo sind die Ventilatoren ausverkauft und ich verbringe meinen Tag mit den Füßen im kühlenden Wasser und träume vom Winter. Euch allen wünsche ich eine tolle, aber vor allem KÜHLE Woche, testet mal wieder Eure Psyche und steckt Menschen nicht in zu feste Schubladen.

Und in ganz eigener Sache: In unglaublichen vier Wochen soll unsere Tochter zur Welt kommen und dann geht der Blog erstmal in Babypause. Aber manchmal halten sich Babies ja nicht so an Zeitpläne, habe ich gehört….wundert Euch also nicht, falls Ihr an einem Freitag ganz unentschuldigt nichts von mir lest. Ich melde mich dann wieder…ist doch klar!!!!!

Ha det bra,

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(…und gleich kaufe ich die Farm!)

 

Ulrike

Heiße Schmuggelware aus Norwegen ODER Sag mir, wo die Windeln sind, wo sind sie geblieben?

Geschmuggelte Drogen aus Südamerika, Waffenschmuggel in Zentralafrika oder billige Zigaretten aus Polen – das illegale Geschäft mit Waren aller Art blüht weltweit.

Auch Norwegen hat ein Schmuggelproblem.

Hier im Land sind die heißen Waren…

Windeln.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. Wie ich bereits häufiger erwähnt habe, ist in Norwegen so ziemlich alles zu teuer. Die ersten Besuche im Supermarkt haben mich fast traumatisiert, schluchzend stand ich vor dem Regal mit Schokolade und wünschte mich sofort in irgendeinen ALDI oder Realkauf in Deutschland. EIN Produkt ist in Norwegen allerdings so richtig billig: Windeln. Zum Vergleich: Die 30er – Packung einer bekannten Windelmarke mit dem Zusatz „baby dry“ für Babies zwischen 4 bis 9 Kilo kostet in Deutschland zwischen 8,45 und 8,95 Euro. Das sind umgerechnet rund 75 NOK. Hier in Norwegen kostet die Packung beim KIWI-Supermarkt gegenüber aber nur…..TUUUUUUSCH……36,90 NOK. Das ist (für alle mathematisch gehemmten Leser) knapp DIE HÄLFTE! Und ich rede hier nicht von Aktionspreisen. Das ist der reguläre Preis.

Wow, oder?

Die Windeln einer schwedischen Firma, die besonders Fußballfans anspricht, sind über eine deutsche Website für 8,90 Euro zu kaufen, im KIWI gibt es sie für 29,60 Kronen, das sind rund 3,20 Euro. Und ganz extrem wird es, greift man zu KIWIs Eigenmarke – 50 Windeln für 16,90, also für knapp 2,- Euro. WIE kommt das? Alles begann im Jahre 2000: Die beiden großen Supermarktketten im Land, KIWI und Rema1000 führen den „bleiekrig“, den Windelkrieg. Die Idee ist simpel. Familien mit kleinen Kindern werden mit absurd niedrigen Preisen für dringend benötigte Windeln in den Laden gelockt. Einmal dort, hofft man, dass sie auch den restlichen Einkauf im Supermarkt erledigen. Wenn man schon mal da ist….

Besonders hart wird der Windelkrieg im Herbst, da die meisten Babies in Norwegen Ende August geboren werden. (Was weniger an kalten Novembernächten als an der zeitlichen Vergabe von Kindergartenplätzen liegt.) Im Herbst tobt also der Windelkrieg mächtiger als jemals. Manche Supermarktketten vermelden rote Zahlen in dieser Zeit, aber trotzdem beteiligen sich fast alle an den Dumpingpreisen. Ein in Europa einmaliger Produktkrieg, der dazu führt, dass nirgendwo auf dem Kontinent Windeln so billig sind wie im eigentlich teuersten Land Europas Norwegen.

Auftritt Wirtschaftstheorie.

Es nennt sich Ricardos ehernes Gesetz des Preises und geht ungefähr so (mein Wirtschaftsabitur ist schon ein paar Jahre her, ich bitte daher um Nachsicht): Ist der Preis eines Gutes niedriger als der Preis plus Transport desselben Gutes an einem anderen Ort, beginnen Leute es zu kaufen, zu verschiffen und zu verkaufen.

Auftritt Schmuggler.

In der Scheibenwelt des britischen Autors Terry Pratchett gibt es die Zunft der Diebe und Schmuggler, um die illegalen Machenschaften zu einem angesehenen Berufstand zu entwickeln. Vielleicht gibt es auch in der realen Welt einen Treffpunkt für Schmuggler…

Ein düsteres Cafe in einem verkommenen Vorort. An der Bar drei undurchsichtige Typen. Die blond toupierte Barfrau will die Stimmung etwas aufheitern.

Barfrau (lächelnd): „Na, Jungs, was schmuggelt Ihr denn heute so Hübsches?“

Schmuggler (gemeinsam): „PSSSSSSST! Bist du verrückt? Schmuggeln? WIR? Nie! Legaler Import-Export, das ist es was wir machen!“

Polizist, der gerade am Ende der Bar dienstbeflissen aufgeschreckt ist, schläft wieder ein.

Barfrau (die Augen verdrehend): „Okay, okay. Also: Welche Waren IMPORTIERT Ihr denn heute so? – Irgendetwas Nettes für mich dabei?“

Schmugg…entschuldigung…Importeur 1 (zieht lässig Schnodder hoch): „Drei Leopardpanzer heute.“

Barfrau (enttäuscht): „Och, schon wieder?“

Importeur 2 (rückt seine Kronjuwelen zurecht): „Kolumbianische Drogen.“

Barfrau (nickt): „Gehen immer.“

Importeur 3: Schweigt.

Barfrau (aufmunternd): „Georgi, und du?“

Importeur 1 und 2 kichern hämisch.

Importeur 2: „Ja, Georgi, und duuuuuuuu?“

Importeur 3 guckt mörderisch.

Importeur 1: „Na, komm, Georgiiiiiiii: Ich importiere heute……..“

Importeur 2: „W…..W…..Wi…..Wi……Winnnnnnnnn……“

Georgi (brüllt genervt): „WINDELN, okay????? W I N D E L N!“

Importeur 1 und 2 fallen lachend vom Barhocker: „Wiiihiiindeln aus Nooorwegen…….“

Barfrau (mitleidig): „Ach, Georgi, das wird schon noch….noch ein paar Jahre und du schmuggelst was Ordentliches. Bestimmt.“

Georgi (verletzt, aber nicht ohne Stolz): „Die Familien freuen sich. Alle mögen mich. Windeln sind wichtig.“

Barfrau: „So ist es, Georgi.“

Fakt ist: Die Dumping-Preise von Windeln führen dazu, dass vor allem litauische und polnische Schmuggler nach Norwegen kommen und sich hier mit Windeln eindecken, bis der Kleinlaster ächzt. Berühmtestes Beispiel ist der „Windel-Engpass von 2013“, als bei Rema1000 im ganzen Land die Windelregale von ausländischen Käufern leergeräumt wurden. An der Grenze zu Schweden entdeckten Zollbeamte Wagen voller Windelpakete im Wert von rund 50.000 NOK, knapp 6000 Euro. Statt den Preis der Windeln zu erhöhen und damit Megaeinkäufe und Schmuggel ins Ausland unattraktiv zu machen, beschränkte die Supermarktkette die Anzahl an Windelpaketen pro Person. Rieseneinkäufe seien „…kein Diebstahl und nicht kriminell,“ so ein Sprecher. „Aber sie sind ein großes Problem…sie lassen nichts mehr übrig für unsere regulären Kunden.“ Aber man kann es den Schmugglern fast nicht verdenken. Windeln, in Norwegen für rund 40 NOK eingekauft, können, laut norwegischer Zeitung Dagbladet, in Litauen für umgerechnet 120-140 NOK verkauft werden. Das lohnt sich. Und gut versteckt entfällt die bei Einfuhr zu zahlende Steuer und schon ist man der Windelkönig im Land und verdient sich eine goldene Nase!

Oder goldene Windel.

Ich werde auf jeden Fall das Windelregal bei KIWI im Blick behalten und, falls nötig, jeden Tag drei Pakete kaufen, um einen Engpass zu vermeiden. Jede vierte Packung gibt es dank der Bleiekort, der Windel-Discountkarte, übrigens umsonst. Toll!!!!!!

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Das war es schon wieder für heute, meine lieben Leser! Ich hoffe, dieser kleine Bildungsartikel über Norwegen hat Euch gefallen und freue mich auf Kommentare. Meine wöchentlichen Grüße sind diesmal eine Portion Abkühlung für Euch Armen in Deutschland, es scheinen tropische Temperaturen zu herrschen. Haltet durch! Hier hat der Sommer eine kurze Verschnaufpause eingelegt, das finde ich ganz ausgezeichnet. Euch allen wünsche ich eine tolle Woche, guckt mal wieder nach Angeboten im Supermarkt, schmuggelt nichts außer guter Laune und esst einen großen Eisbecher für mich – ich habe Lust auf Bananenflip!!!!

Ha det bra,

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Ulrike

Skandal am Königshaus wegen Schulwechsel ODER Wer will schon immer gleich sein?

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Kurz vor dem alle Jahre wiederkehrenden, umsatzschwachen Sommerloch fiel der norwegischen Presse noch eine Sensationsmeldung auf die Schreibtische: Kronprinz Haakon und Gattin Mette-Marit ließen verlauten, ihre beiden Kinder werden ab Herbst 2014 Privatschulen besuchen.

Privatschulen????

Skandal!!!

Hallo meine lieben adelstreuen Leser, schön, dass wir uns hier wieder treffen. ENDLICH mal ein Blog über die Königsfamilie! Gleichzeitig aber auch ein Einblick in die norwegische Seele, das norwegische Schulsystem und die Macht der Presse. (Dies als Köder für alle, die beim Thema Königsfamilie gelangweilt wegklicken wollen.)

Fangen wir am Anfang an. Da ist bekanntlich das Wort, in diesem Fall: Folkelig. Das ist ein schwer zu übersetzender norwegischer Begriff und bedeutet, grob gesagt, volksnah. Wer folkelig ist, ist wie alle anderen. Und DAS ist gut so. Besonders von der Königsfamilie wird erwartet, dass sie folkelig ist. Immerhin ist die gesamte Monarchie vom Volk beschlossen worden und da darf man jawohl erwarten, dass die im gelben Schloss sich nicht soviel auf ihren Status einbilden.

Gleichheit mag vielleicht ein Recht sein, aber keine Macht vermag sie in die Tat umzusetzen.

Honoré de Balzac (1799 – 1850), französischer Philosoph und Romanautor

Nun gibt es aber ein Paradox: In §5 des norwegischen Grundgesetzes steht, dass der König heilig ist („Kongen er hellig.“). Und da kann ein Heiliger noch so volksnah sein, heilig bleibt er trotzdem und schwebt damit, metaphorisch ausgedrückt, ein paar Meter über dem Erdboden.  Ein anderes Paradox ist, dass die Königsfamilie selbstverständlich in einer Welt voller Privilegien lebt, Privilegien sowohl sozialer als auch ökonomischer Natur. Und damit sind sie nicht allein, denn so sehr die Norweger auch vom Janteloven – dem Gleichheitsgesetz – träumen, gibt in Realität natürlich immer Leute, die reicher sind, besser vernetzt, angesehener. Und damit weniger gleich. Die Königsfamilie versucht seit Jahrzehnten, die Balance zwischen sozialer Vormachtstellung und Volksnähe zu schaffen. Unvergessen die Straßenbahn-Fahrt von König Olav 1973 während der Ölkrise. Wie Ole Nordmann (der gewöhnliche Norweger) saß das Staatsoberhaupt neben seinen offensichtlich begeisterten Untertanen und zückte seine Geldbörse, um ein Ticket zu kaufen. (Dass er die übrigen Jahrzehnte seines Lebens in Luxuskarossen durch die Weltgeschichte oder Norwegen fuhr, blendete das Volk damals scheinbar aus.)

Quelle: Dagbladet, 18.6.14

Quelle: Dagbladet, 18.6.14

Ähnliches gilt seit Jahrzehnten für den Schulbesuch der königlichen Sprößlinge.  Sowohl Kronprinz Haakon als auch seine Schwester Prinzessin Märtha Louise besuchten die öffentliche Schule in Smestad, in der bereits ihr Vater nach dem zweiten Weltkrieg die Schulbank drückte. Königin Sonja begann ihre Schulkarriere in einer Privatschule, wechselte aber dann ebenfalls zur Smestadt Schule und erreichte 1954 an der Realschule von Ris ihren Abschluss. Und bis zu diesem Sommer traf diese volksnahe Schulwahl auch auf die Kinder des Kronprinzenpaares, Thronfolgerin Ingrid Alexandra und ihren Bruder Sverre Magnus, zu. Beide besuchten – laut Königshaus ohne nennenswerte Probleme – die Jansløkka Schule in Asker bei Oslo.

Foto: Eivind Griffith Brænde

Ingrid Alexandras erster Schultag in Asker. Foto: Eivind Griffith Brænde

Der sie heute, am letzten Schultag, „Ha det“ gesagt haben.

Denn ab Herbst wird Ingrid Alexandra nach dem Willen ihrer Eltern die Internationale Schule Oslo besuchen, Sverre Magnus die Montessori-Schule Oslo. Diese Meldung wirkte wie ein Stich ins Wespennest. „Fjerner seg fra folket!“ titelte das linksfreundliche Boulevardblatt Dagbladet. Das Kronprinzenpaar entferne sich vom Volk – sei also, kurz gesagt, nicht mehr folkelig. Dabei sei es eine lange Tradition in Norwegen, dass das Königshaus Bescheid wisse über das Alltagsleben der Norweger. Mit dieser Entscheidung zur Schulwahl entferne man sich von dieser Tradition, so Torgeir Knag Fylkesnes von den Linken. Martin Kolberg von der Arbeiterpartei sah in der Entscheidung gar einen Schritt Richtung Ende der Monarchie. 100.000 norwegische Kronen koste allein die Internationale Schule pro Jahr, jaulte die Zeitung weiter, und was denn so schlimm wäre am weiteren Schulbesuch in der öffentlichen Schule in Asker?? Das Königshaus reagierte gelassen und begründete die Wahl für Prinzessin Ingrid Alexandra damit, dass sie „grundlegende Fähigkeiten erlangen soll, in Englisch zu denken, zu sprechen und zu schreiben.“ Die ironische Antwort von Politiker Fylkenes ließ nicht lange auf sich warten: „Man sollte glauben, dass Ingrid Alexandras Aufgabe als Prinzessin und spätere Königin von Norwegen sei, auf NORWEGISCH zu denken und zu sprechen.“

Die Fronten sind also verhärtet, an der Situation ändert sich aber nichts. Die norwegischen Königskinder gehen auf die Privatschule. Dem Willen ihrer Eltern gemäß.

Ich finde diese ganze Diskussion sehr spannend. Nicht, weil sie das Königshaus betrifft, aber weil sie einen Einblick in die norwegische Seele ermöglicht: Man kann gerne reich oder mächtig sein, aber das hat man gefälligst für sich zu behalten. Wie aber lässt sich dieses Ideal vereinbaren mit dem Wunsch der Eltern, für die bestmögliche und am besten geeignete Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen? Mit diesem Wunsch stehen Haakon und Mette-Marit ja nicht allein da. 30% der Schüler der Internationalen Schule Oslo sind norwegische Kinder (neben Kindern von Botschaftsangestellten und anderen ausländischen Angestellten hier in Oslo) mit norwegischen Eltern. Sie alle wollen eine international geprägte Ausbildung für ihre Kinder. Eine Ausbildung, die es so an norwegischen Schulen nicht gibt.

Und ja, dafür muss man dann eben bezahlen.

Und nein, das können nicht alle Eltern in Norwegen, auch wenn sie es gerne würden.

Und doch, das widerspricht dem Ideal der Gleichheit.

Deshalb kann all die Kritik, die seit Mittwoch durch die Foren der Onlineausgaben von Dagbladet oder Aftenposten schwirrt, in denen Mette-Marit als „snobistischer Emporkömmling“ bezeichnet wird, die allein verantwortlich für die elitäre Schulwahl ist; in denen die Monarchie als „auf dem absteigenden Ast“ bezeichnet wird  und in denen die öffentlichen Schulen gepriesen werden obwohl (oder gerade weil) sie „anscheinend für privilegierte Königskinder nicht geeignet sind“ – all diese Kritik könnte genauso gut den anderen norwegischen Eltern gelten, die diese Wahl für ihre Kinder getroffen haben. Sie alle sind nicht mehr folkelig.

Aber stimmt das? Sind sie nicht gerade dadurch volksnah, dass ihnen, wie allen norwegischen Eltern, das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt? Dass sie eine Entscheidung treffen, ohne auf die Kritik der Umgebung zu achten, weil sie das Beste für ihre Kinder wollen? Und geht es bei der Schulwahl wirklich um Prestige oder vielleicht doch eher um Qualität? Und wenn das so ist, warum verlieren die öffentlichen Schulen dann? Fehlt es diesen Schulen eventuell an individueller Betreuung und ausreichendem Personal? Vielleicht wird das Gleichheitsprinzip auch in den öffentlichen Schulen zu sehr in den Mittelpunkt gestellt. Aber es gibt nun einmal intellektuelle Unterschiede zwischen Schülern, so ist eben das Leben, und diese Unterschiede nicht zu beachten zugunsten eines abstrakten Gleichheitsprinzips – das ist doch hirnrissig. Ich muss mich damit näher befassen: Ein Blog zum norwegischen Schulsystem wird also folgen.

Die Diskussion wird hier in Norwegen weitergehen und ich werde Euch auf dem Laufenden halten. Für den Moment sind die Fronten etwas verhärtet, an der Situation ändert es aber nichts. Und das ist auch gut so, denn wer will schon ein Königshaus, das sich zu sehr nach den Wünschen und Beschwerden seines Volkes richtet? Denn schließlich, um Ebba D . Drolshagens Buch Gebrauchsanweisung für Norwegen zu zitieren: „Ist sie (die Königsfamilie) zu normal, macht sie sich schnell entbehrlich…“ – und das wollen wir ja auch nicht!

***

Das war es für heute, meine lieben Leser, mit unserem Ausflug in die norwegische Seele. Euch allen wünsche ich eine tolle Woche und meine wöchentlichen Grüße gehen mal wieder an Euch, meine Leser. Toll, dass Ihr da seid! Und besonders toll, wenn Ihr mich im Supermarkt ansprecht und mir erzählt, dass Ihr den Blog lest. Darüber freue ich mich den ganzen restlichen Tag! Macht es also gut, viel Spaß in den Ferien, bei der WM, im Garten, mit Freunden oder wo auch immer Ihr die Zeit verbringt.

Ha det bra,

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Ulrike

 

Willkommen in Oslo, Herr Bundespräsident ODER Entschuldigung, wieso dürfen wir hier nicht rein??

publik.verdi.de

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Im Ausland wird der Mensch patriotisch. So komisch es klingt, so wahr ist es doch. Jedenfalls für mich. Ob die deutsche Nationalmannschaft im Curling in Kanada, ein deutscher Weihnachtsmarkt in Edinburgh oder deutsche Würstchen auf dem Markt in Oslo – ich bin gleich über alle Maßen begeistert.

Hallo, meine lieben patriotischen (?) Leser, schön, dass wir uns wieder treffen. In dieser Woche erlebte ich eine Deutsche, die mit Kopfschütteln und Leidensmiene verkündete, sie wäre „nicht gerade glücklich, Deutsche zu sein.“ Ja, das ist natürlich schlecht. Reisende soll man aber bekanntlich nicht aufhalten und so schlage ich statt unterwürfiger Reue im Ausland einen Wechsel der Staatsbürgerschaft vor. Fertig! Aber das nur nebenbei. Weiter zu Joachim Gauck: Während der Bundespräsident und die First Lady heute nach Trondheim reisen, berichte ich Euch von der offiziellen Begrüßung am Mittwochmorgen vor dem königlichen Schloss.

Die begann sportlich. Wie das bei Menschen so üblich ist, siegte am Mittwochmorgen der Gruppentrieb: Auf der nördlichen Seite des Schlosses hatten sich um 9.20 Uhr die ersten Deutschen mit deutschen Flaggen und guter Stimmung versammelt. Das reichte als Zeichen für weitere Gruppenansammlung. Neben den ca. 100 Schülern der Deutschen Schule warteten also noch weitere Deutsche auf Einlass zu den Publikumsplätzen. Jeder, der eine solche Einladung vorweisen konnte…

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… durfte extra nah ran an den Mann.

Oder das Schloss.

Auf jeden Fall weg vom gewöhnlichen Gafferpöbel.

(Ja, blaue Einladungskarten vom Königlichen Hof machen arrogant. Was soll ich tun?)

Um 9.30 sollte der Einlass beginnen. Froh gelaunt knipsten wir die ankommende Königliche Garde, die berittene Polizei und uns gegenseitig. Die Sonne strahlte, die halbe Stadt war mit schwarz-rot-goldenen Fahnen und Blumenkästen dekoriert und unsere Laune war prächtig.

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Bis zu dem Moment, als um 9.30 Uhr die beiden Polizistinnen das verschlossene Absperrgitter öffneten und nur die Schüler und Lehrer der Deutschen Schule einlassen wollten.

„Wie? – Was??? – UND WIR????“ jaulten wir anderen los. Ja, das wüsste sie jetzt auch nicht, zuckte die blonde Polizistin die Schultern und schloss das Gitter wieder. Stände denn nichts auf der Einladung? Pff, tolle Idee, auf der Einladung!  Das hätten wir wohl gesehen, wenn da was stände, wir können ja schließlich lesen, oder was wolle sie damit andeuten und….

Oh…

Guckt mal, auf der Rückseite ist eine Karte. Also, die Schulkinder stehen rechts vor dem Schloss und wir anderen sollen…ach guck…nach links…zum südlichen Eingang…also genau auf die andere Seite.

Ratlos blickten wir auf die Absperrgitter vor uns, die sich hübsch glänzend vom Schloss aus die gesamte Karl Johan Gate hinunterzogen. Ich kalkulierte meine Fähigkeit mit dem dicken Bauch über das Gitter zu klettern: Gering, sehr gering. Außerdem wohl auch nicht gern gesehen bei den streng blickenden Sicherheitsleuten.

Ein entschlossener Mitarbeiter der Deutschen Botschaft hatte einen Plan: „Auf der Hälfte der Auffahrt stehen Polizisten, wir fragen, ob sie uns auf die andere Seite lassen.“ Ein Plan, endlich! Es folgte der stramme Marsch einer Gruppe Deutscher, die in geballter Entschlossenheit kurze Zeit später vor drei norwegischen und ahnungslosen Polizisten stoppte. Unsere Entschlossenheit auf die andere Seite zu kommen (und zwar schnell), traf auf höfliches Desinteresse. Bei den Polizisten. Nicht bei den umher stehenden Touristen, die uns neugierig betrachteten. Nach energischem Wedeln mit blauen Einladungskarten, ein paar gewechselten Sätzen ins Walkie-Talkie und aufgrund der generellen Gutmütigkeit der Norweger geschah es: Zum zweiten Mal an diesem Tag öffnete sich ein Absperrgitter vor uns. Diesmal durften wir durch!

Hätte das Königspaar in diesem Moment aus einem Schlossfenster geguckt, was hätten sie wohl von der Gruppe Deutscher gehalten, die gerade quer über die abgesperrte Auffahrt joggte? Wir werden es nie wissen und wir hatten auch keine Zeit darüber nachzudenken, denn nun mussten wir die Auffahrt wieder hinauf, um dann endlich, endlich, am richtigen Platz zu landen. Keuch, keuch. Warum wir nicht einfach hinter den Schulkindern her auf die linke Seite gehen durften, ist ein Rätsel, das wir nicht lösen konnten. Stattdessen zuckten wir unsere Pässe und wappneten uns für eine gründliche Kontrolle. Zu der nur so viel: Dass kein Attentat auf König oder Bundespräsident verübt wurde, kann man nicht den beiden Sicherheitskräften verdanken, die uns hineinließen. Ins Parlamentsgebäude durfte ich nicht einmal ein Taschenmesser mitnehmen, aber ich hätte problemlos zwei Staatsoberhäupter samt Gattinen beim Staatsempfang auslöschen können. Weder mein Pass noch meine Tasche hat irgendwen interessiert. Nun gut, ich bin harmlos, da haben sie nochmal Glück gehabt.

Die Sonne brannte vom Himmel, als wir vor dem Schloss unsere Stehplätze einnahmen. Uih, so nah dran am Geschehen!

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Mitleidig fiel mein Blick auf die Garde, deren Mitglieder seit über 25 Minuten bewegungslos in der Hitze standen. Natürlich in voller Uniform und mit Hut. Von links erschien nun eine norwegische Delegation, von denen ich nur den Osloer Bürgermeister Fabian Stang erkannte. Brav nahmen die VIPs Aufstellung am roten Teppich. Wenige Minuten später erschien das Königspaar, er in voller Uniform, sie im cremefarbenen Ensemble mit passendem Hut. Die Glücklichen stellten sich im schattenspendenden Pavillon auf Position, den einige der schwitzenden Gardemitglieder wohl nur zu gern gestürmt hätten. Während Königin Sonja im Schatten bleiben durfte, nahm der König die Parade ab, dann begrüßten beide die VIP-Delegation und nahmen schließlich am anderen Ende des roten Teppichs Aufstellung.

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Mir war warm und einen Stuhl hätte ich auch gern gehabt. Jammer, jammer. Aber ich riss mich zusammen: Neben mir stand die hochschwangere Christina und wenn die nicht jammerte, dann musste ich Bauchküken mich auch zusammennehmen. Mal ehrlich!

Uh, Achtung, eine Wagenkarawane näherte sich!! Nach zwei weißen Polizeiwagen folgte die schwarze Staatskarosse und hielt genau vor den Füßen des norwegischen Königspaares. Die Türen öffneten sich und unter lautem Jubel entstiegen Joachim Gauck und Daniela Schadt. Kronprinz Haakon, der die beiden offensichtlich abgeholt hatte, schloss sich der gutgelaunten Gruppe an, die sich gleich viel zu erzählen hatte.

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Im schützenden Schatten angekommen, erklangen die beiden Nationalhymnen. Warum singen wir Deutschen eigentlich nicht mit? Oder machen wir es nur, wenn wir in großen Gruppen sind? Oder nur beim Fußball? Oder wie oder was? An diesem Morgen hörte ich um mich herum auf jeden Fall nur Stille. Komisch. Ob die beiden Ehrengäste sangen, konnte ich leider nicht erkennen. Nach dem letzten Ton wiederholte sich die Prozedur, die vorher der König allein unternommen hatte: Abnahme der Garde, Begrüßung der VIPs. Dann lenkte der König seine Gäste zu den wartenden Schulkindern, die in begeistertes „Hipphipphurra“ ausbrachen. Der Bundespräsident zeigte sich ebenfalls begeistert, ließ sich auf Selfies mit den Schülern ablichten, fragte und erzählte und nahm sich Zeit.

Dann ging er mit dem König gemeinsam ins Schloss.

Äh…

Hallo??…

Herr Gauck? Joachim?? Jojo?? Wir sind auch noch da, hier links auf der anderen Seite.

Hatte er etwa gehört, dass wir die Hymne nicht mitgesungen hatten? War er einfach müde und wollte raus aus der Sonne? Was immer es war, der Bundespräsident ging ohne weitere Wort hinein und ließ uns stehen.

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Aber wozu hat man eine First Lady? Und eine Königin? Daniela Schadt und Königin Sonja erwiderten unsere Grüße mit guter Laune und netten Worten, bevor sie sich ihren Männern anschlossen und endlich, endlich wieder in den Schatten durften.

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Immerhin!

Nur wenige Minuten später rollten Mitarbeiter den roten Teppich wieder ein und zwei Gardemitglieder sanken in eine gnädige Ohnmacht. Der ganze Zauber war vorbei. Aber – es hatte sich gelohnt.

***

Das war es schon für heute, meine lieben Leser! Ich finde es immer wieder toll, was man hier in Oslo so erlebt. Euch allen wünsche ich ein tolles Wochenende und viel Spaß bei der WM. Schon wieder eine Chance, patriotisch zu sein und so werden wir am Montag vor der Akershus Festung beim public viewing die Jungs von Joachim Löw lautstark anfeuern. Nach dem fast skandalösen Start gestern hoffe ich auf einen guten Schiedsrichter und natürlich ganz viele deutsche Tore. Allen Nicht-Fußballfans wünsche ich für die kommenden vier Wochen starke Nerven – immerhin gibt es dieses Mal keine Vuvuzelas.

Ha det bra,

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(keine Ahnung, warum ich so schmerzverzerrt grinse…..)

Ulrike

Eine „Butterfahrt“ nach Schweden ODER Harry, wir gehen auf Tur!

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Heaven is a place on earth, sang Belinda Carlisle 1987. Wo genau sich dieser himmlische Platz befand sang sie allerdings nicht, was irgendwie unfair ist: Erst rumposaunen, dass es den Platz gibt, aber keine Anfahrtsbeschreibung geben. Fast dreißig Jahre später, an einem Märzmorgen im Jahr 2014, habe ich ihn dann gefunden: Im Nordby Shoppingcenter in Schweden.

Ein Himmel voller Schokolade.

Hallo, meine lieben Leser, schön, dass wir uns wieder treffen. Geht’s Euch gut? Ich war letztes Wochenende mit Catharina, Steffen und Martin auf Harry tur. Die Deutschen fahren nach Polen, um günstig einzukaufen, die Dänen nach Deutschland, die Schweden nach Dänemark und die Norweger…die fahren nach Schweden. (Ob, um den Kreis zu schließen, die Polen nach Norwegen zum Einkaufen kommen, weiß ich nicht, bezweifle es aber stark.) Auf alle Fälle fahren DIE Norweger nach Schweden, die in Tagestourentfernung zur Grenze leben. Wir aus Oslo zum Beispiel. Knapp anderthalb Stunden dauert die Fahrt. Ein lohnendes Geschäft: 13 Milliarden Norwegische Kronen (1,3 Milliarden Euro) gaben die Norweger letztes Jahr im Grenzhandel aus, fast 15% mehr als in 2012. 95% davon flossen nach Schweden, die verschwindenden Prozent landeten bei den finnischen Nachbarn oder in Putinland.

Gleichzeitig fehlen diese Milliarden natürlich der norwegischen Wirtschaft. Dementsprechend unbeliebt ist der Grenzhandel in offiziellen Kreisen und Pläne zur weiteren Einfuhrbegrenzung werden diskutiert. Auch der Spitzname „Harry tur“ stammt aus dieser ablehnenden Haltung: Als „harry“ beschrieb der damalige Landwirtschaftsminister Lars Sponheim die Einkaufstouren seiner Landsleute in einem Interview von 2002. Und das bedeutet im norwegischen Umgangston nichts Gutes: „Harry“ steht für vulgär, ungebildet und geschmacklos. Statt sich aber beschämt in eine Ecke zu trollen, nahmen viele Norweger den Begriff begeistert auf – und nun geht man eben auf „Harry tur“. Sowas nenne ich Eigentor.

Oft hatten uns Freunde schon von ihren Grenztouren erzählt, aber bisher hatten wir immer brav die norwegische Wirtschaft unterstützt. Dies sollte sich am 1. März 2014 ändern. Dass ich allerdings, ganz blasphemisch, den Himmel auf Erden finden würde, das hatte ich nicht erwartet. Überspringen wir die Anfahrt und starten wir gleich in dem Moment, als mich die Rolltreppe im Nordby Shoppingcenter in die erste Etage brachte.

Und da war es.

„Gottebiten“ – ein gigantischer Laden voller Süßigkeiten!

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Zögernd trete ich näher und komme mir vor wie Charlie, als er zum ersten Mal die Schokoladenfabrik von Willy Wonka betritt. Wände voller Schokoladentafeln, Regale mit Pralinenkästen, Plastikzylinder mit Jelly Beans und offene Marktstände mit Bonbons in buntem Knisterpapier strahlen mir entgegen. Ich bekomme einen Zuckerschock allein vom Gucken. Und dann…die Preise. Ich vermute, dass Ihr Leser im Ausland das nur schwer nachvollziehen könnt, aber ich lebe seit fast zwei Jahren in einem Land, wo Schokolade ein Luxusgut sein kann und ein Kitkat fast 2,- Euro kostet. Mit Tränen in den Augen stehe ich vor einem Tisch mit Twix im 10er-Pack. 39,90 schwedische Kronen kosten die Packung (Umrechnungskurs zu Norwegen 1:1). 39,90 Kronen!! Für ZEHN Twix!!!! Der schwedischen Regierung für das Nichteinführen der Zucker- und Fettsteuer dankend, packe ich den Einkaufskorb voll.  Norwegen hat die Steuer 1981 eingeführt, Grund waren zusätzliche Einnahmemöglichkeiten, aber auch der Willen der Regierung, das Volk solle sich gesünder ernähren.

Das haben wir nun davon.

Gut, dass es Schweden gibt!

Weiter geht es durch die himmlischen Hallen, vorbei an allen großen Schokoladenmarken, von denen ich einige seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, wie alte Freunde begrüße und in meinen Korb einlade. Wieviel Kilo darf ich zurück nach Norwegen mitnehmen? Waren im Wert von insgesamt 3000,- NOK, aber gab es nicht auch eine Beschränkung bei Süßwaren? Egal, ich packe mal weiter. Martin ist währenddessen bei den Getränken angekommen und steht ungläubig vor Paletten voller Dr. Pepper. Das flüssige Zuckermonster kostet uns in Oslo pro Dose knapp 25,- NOK – hier im Himmel, werden 24 Dosen für 99,- SEK/NOK angeboten.

Ich mache ein Foto.

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(Ich höre Euch förmlich kichern beim Lesen, aber wenn Ihr mein Verhalten im schwedischen Süßigkeitenmarkt schon lustig findet, solltet Ihr mich sehen, wenn ich in Deutschland das erste Mal in den Supermarkt gehe.)

Schweren Herzens und mit vollen Tüten verlassen wir den himmlischen Platz – allein für diesen Laden hat sich die ganze Fahrt schon gelohnt.

Das restliche Einkaufszentrum erweist sich als riesiger Konsumtempel mit Geschäften aller Art, einige davon interessant, weil wir sie in Oslo nicht haben. Die Preise von Kleidung, Schnickschnack, Sportartikeln oder CDs sind aber größtenteils wie in Norwegen und würden die Fahrt nicht lohnen. Allerdings ist es toll, mal wieder so viel AUSWAHL zu haben. Man bekommt alles in Oslo, klar, aber das Angebot ist begrenzt. Letzter Stop auf unserer ersten Harry tur ist der riesige Supermarkt im Nordby Shoppingcenter. Riesig! Wir wandern durch die Gänge und bleiben wie angewurzelt in der Käseabteilung stehen – wow, solche Auswahl!! Und erschwinglich. Martin findet ein paar Gänge weiter seine Lieblingsmarmelade, die in Oslo aus dem Sortiment genommen wurde, doch bald konzentrieren wir uns weniger auf das Warenangebot als auf die anderen Kunden.

Norweger müssen unglaublich große Gefrierschränke haben. Ach, was sage ich Schränke…RÄUME!! Ganze Schweine oder Kühe, so scheint es, werden in gefrorenem Zustand zur Kasse transportiert. Gewaltige Kotelettpakete, Rippenstücke, Keulen werden über Schultern geworfen und triumphierend ins eigene Heim gebracht. Norweger, lerne ich später, fahren zum Einkauf von drei Warengruppen nach Schweden: Alkohol, Tabak, Fleisch. Wir stehen mit unserem kleinen Körbchen hinter einer Familie, die eine tote Schweineherde in gefrorenem Zustand aufs Band legt und kommen uns komisch vor. Statt 3500,- NOK zahlen wir dafür aber auch nur 300,-.

Ich bin kaputt. Shoppen ist anstrengend und wir vier schaffen es gerade noch in ein asiatisches Lokal. Nach einem leckeren Essen geht es zurück nach Norwegen. Ob wir wohl in eine Grenzkontrolle kommen? Ein Schild an der Straße bietet mir an, mich per sms zu informieren, ob die Grenzkontrollen geöffnet seien oder wir einfach durchfahren können, aber ich widerstehe der Verlockung. Unser Plan, etwas zu schmuggeln, uns dann erwischen zu lassen, um damit diesen Blog für Euch noch interessanter zu machen, ist fehlgeschlagen und so fahren wir entspannt der Grenze entgegen.

Nichts passiert.

Ungehindert landen wir auf der norwegischen Seite und beißen voller Hingabe ins schwedische Twix. Zurück in Oslo kann ich nun in den folgenden Wochen schulterzuckend an den Luxusschokoladenpreisen vorbeigehen – die schwedische Schokolade wird bis zum Trip nach Kiel reichen.

Das war es für heute, meine lieben Leser. Ich hoffe, Ihr hattet Spaß auf unserer Harry tur. Wer von Oslo aus gern mal zum Nordby Shoppingcenter fahren möchte, aber kein Auto hat: Verschiedene Busanbieter führen teilweise sehr günstige Touren durch. Täglich fährt die Linie 3 der TIMEekspressen, die Fahrt dauert knapp 2 Stunden und kostet hin- und zurück 440,- NOK.

Ich wünsche Euch allen eine tolle Woche, genießt die Sonne in Deutschland (und schickt ein paar Strahlen nach Oslo) und freut Euch auf den Frühling. Meine Grüße gehen heute an meine Berliner Lieblingsstudentennichte mit einem großen Hipphipphurrah zum Geburtstag!

Ha det bra,

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(den Gesichtsausdruck bitte ich zu verzeihen…ich war einfach überwältigt.)

Ulrike